Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmtheitsanforderungen an die Berufungsanträge. Einmalige Kapitalabfindung anstelle der laufenden Rente. Versicherungsmathematische Wertgleichheit des Barwerts der Kapitalabfindung mit der zugesagten Rente. Ergänzende Vertragsauslegung und Vertrauensschutz bei Altzusagen. Zumutbarkeit einer Vertragsklausel i.S.d. § 308 Nr. 4 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Bestimmtheit der Berufungsanträge, wenn der Kläger von zwei Rechtsanwälten vertreten wird, die unterschiedliche Berufungsanträge ankündigen.

2. Verspricht ein Arbeitgeber eine monatliche Betriebsrente über eine Gruppenunterstützungskasse und sieht der Leistungsplan vor, dass die Versorgungskasse sich vorbehält, anstelle einer laufenden Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der 10-fachen Jahresrente zu zahlen, so liegt darin ein kontrollfähiger Änderungsvorbehalt. Es handelt sich nicht um eine echte Wahlschuld i.S.v. § 262 BGB, sondern um eine arbeitgeberseitige Ersetzungsbefugnis, auf die § 308 Nr. 4 BGB Anwendung findet (im Anschluss an OLG Stuttgart 17.12.2008 - 14 U 34/08, juris Rn. 79 f.; a.A. LAG Hamm 11.08.2021 - 4 Sa 221/21, juris).

3. Modifiziert der Änderungsvorbehalt Inhalt und Umfang der Hauptleistung, weil die laufende Betriebsrente durch eine nicht wertgleiche Kapitalleistung ersetzt wird, indiziert dies die Unzumutbarkeit des Änderungsvorbehalts. Maßgeblich ist dabei, ob der Barwert der Kapitalabfindung versicherungsmathematisch mit der zugesagten Rente wertgleich ist. Dies folgt aus der Wertung des § 3 Abs. 5 BetrAVG i.V.m. § 4 Abs. 5 BetrAVG. Es kommt weder auf die vom Arbeitgeber gebildete Pensionsrückstellung (§ 6a EStG) noch auf das bei Unterstützungskassen steuerlich zulässige Reservepolster gemäß § 4d EStG an.

4. Zur Frage der ergänzenden Vertragsauslegung und des Vertrauensschutzes bei einer Altzusage.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Begriff der Zumutbarkeit in § 308 Nr. 4 BGB verlangt eine Abwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung und den Interessen des anderen Vertragsteils an deren Unveränderlichkeit. Dabei sind die Wertungen des § 307 BGB heranzuziehen und nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BetrAVG §§ 3, 4 Abs. 5; BGB § 241 Abs. 2, §§ 262, 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 306 Abs. 2, § 307 Abs. 3, § 308 Nr. 4, § 310 Abs. 4; EGBGB Art. 229 § 5; EStG §§ 4d, 6a; ZPO § 256 Abs. 1, §§ 258, 297, 520 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 21.10.2021; Aktenzeichen 1 Ca 1065/21)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.01.2023; Aktenzeichen 3 AZR 220/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 21.10.2021 - 1 Ca 1065/21 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, den Betriebsrentenanspruch der Beklagten durch eine Einmalzahlung zu erfüllen oder ob die Beklagte von dem Kläger die Zahlung einer monatlichen Betriebsrente verlangen kann.

Die am 25.03.1956 geborene Beklagte war vom 01.10.1994 bis zum 30.11.2019 bei dem Kläger als Krankenpflegehelferin beschäftigt. Ursprünglich gab es für die Arbeitnehmer des Klägers auch ein Weihnachtsgeld als 13. Gehalt. Dessen Zahlung wurde ab 1998 eingestellt. In einem Schreiben der Gruppenunterstützungskasse für C. e.V. (im Folgenden H.) aus Dezember 2000 (im Folgenden: Schreiben 12/2000) an die Beklagte, "in Firma B. Krankenpflege" aus Dezember 2000 hieß es u.a.:

"A. BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG

Die Firma B. Krankenpflege, .... (nachstehend "Unternehmen genannt"), hat über uns (im folgenden "Versorgungskasse" genannt) eine betriebliche Altersversorgung eingerichtet. Dafür gelten die folgenden Grundsätze und der nachstehende Leistungsplan.

B. LEISTUNGSPLAN

1. KREIS DER BEGÜNSTIGTEN

Jeder Arbeitnehmer vom 30. Lebensjahr bis zum vollendeten 50. Lebensjahr kann zum 1. Dezember eines Jahres Leistungsanwärter werden.

2. ART UND HÖHE DER VERSORGUNG

Die Kasse gewährt Altersrenten. Alle Renten werden monatlich im voraus gezahlt. Altersrente erhält ein Begünstigter erst ab dem Ersten des Monats, der der Vollendung des 65. Lebensjahres folgt. Die Altersente beträgt 761,42 DM und erhöht sich um eine Anwartschaftsdynamik von 5 % pro künftiges Dienstjahr.

Die Versorgungskasse behält sich vor, anstelle einer laufenden Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der 10-fachen Jahresrente zu zahlen.

...

C. GRUNDSÄTZE

1. LEISTUNGEN DER KASSE

Die Leistungsempfänger erhalten die Leistung von der Kasse. Satzungsgemäß muss die Kasse ihre Leistungen jedoch einstellen, wenn das Unternehmen die erforderlichen Finanzierungsmittel der Kasse nicht bzw. nicht mehr zur Verfügung stellt. Sollte dem Mitarbeiter in diesem Fall trotz der grundsätzlichen Freiwilligkeit der Leistungen ein Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen zustehen, so richtet sich der Anspruch nicht gegen die Kasse, sondern nu...

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