Entscheidungsstichwort (Thema)

Passivlegitimation des Betriebsveräußerers im Kündigungsschutzprozess bei Rechtshängigkeit des Auflösungsantrags nach Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle eines nach Kündigungszugang, aber noch vor dem Auflösungszeitpunkt eintretenden Betriebsübergangs und damit Wechsels der Arbeitgeberstellung ist "Arbeitgeber" im Sinne des § 9 KSchG der Betriebserwerber und nicht mehr der Veräußerer. Dem Betriebsveräußerer fehlt in diesem Fall für einen nach dem Betriebsübergang gestellten Auflösungsantrag des Arbeitnehmers die Passivlegitimation und für den arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag die Aktivlegitimation; diese hat nunmehr allein noch der Betriebserwerber.

2. Kündigt der Betriebsveräußerer und findet während des Kündigungsschutzrechtsstreits mit ihm, aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist und damit vor dem Auflösungszeitpunkt ein Betriebsübergang statt, muss dem Erwerber als neuem "Arbeitgeber" der Parteibeitritt zwecks Stellens eines Auflösungsantrages möglich sein. Das gilt aufgrund der Sonderregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG auch noch in der Berufungsinstanz und im Wege der - über § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO hinaus - noch bis zum Schluss der letzten mündlichen Berufungsverhandlung zulässigen Anschlussberufung.

3. Dem Betriebserwerber ist auch noch im Berufungsrechtszug zum Zwecke des Stellens eines Auflösungsantrages der Parteibeitritt auf Beklagtenseite im Kündigungsschutzrechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Betriebsveräußerer im Wege der Anschlussberufung möglich. Entgegenstehende zivilprozessuale Regelungen werden durch die Sonderregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG insoweit überlagert und verdrängt.

4. Allerdings muss sich der Betriebserwerber im Auflösungsprozess die zur Unbegründetheit des Auflösungsantrages nach §§ 9 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG führende Unwirksamkeit der noch vom Betriebsveräußerer ausgesprochenen Kündigung aus anderen Gründen als ihrer Sozialwidrigkeit entgegenhalten lassen. Er kann insoweit nicht besser stehen als der kündigende Betriebsveräußerer, wenn dieser selbst für einen Auflösungsantrag aktivlegitimiert wäre.

5. Entspricht keine der im Rahmen der Auslegung eines Unterrichtungsschreibens bei der Anhörung nach § 102 BetrVG bzw. § 31 Abs. 2 SprAuG in Betracht kommenden Verständnismöglichkeiten dem Kündigungswillen des Arbeitgebers, liegt eine Irreführung der Gremien vor. Dass diese nicht bewusst geschehen ist, ist arbeitgeberseitig im Kündigungsschutzprozess substantiiert zu begründen und im Streitfalle zu beweisen. Anderenfalls führt der Mangel der Anhörung der Mitbestimmungsgremien zur Unwirksamkeit der Kündigung.

 

Normenkette

KSchG §§ 9, 14 Abs. 2, § 9 Abs. 1 S. 3; ZPO §§ 59-60, 524; BetrVG § 102; SprAnG § 31 Abs. 2; BGB § 613a; KSchG § 10

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.05.2017; Aktenzeichen 11 Ca 5645/16)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufungen der Beklagten zu 1. und 2. gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.05.2017 - Az.: 11 Ca 5645/16 - werden einschließlich der hilfsweise gestellten Auflösungsanträge zurückgewiesen.

  • II.

    Die Beklagten zu 1. und 2. tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je 50%.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die ordentliche Kündigung der Beklagten zu 1. vom 28.09.2016 zum 31.03.2017 sowie über in der Berufungsinstanz erstmals gestellte Auflösungsanträge beider Beklagten.

Die Beklagten sind in der Versicherungsbranche tätig und zählen zur F.-Gruppe. Die F.-Gruppe ist ein Teil des N. S. (N. Re)-Konzerns. Die Unternehmen der F.-Gruppe bilden mit der Beklagten zu 2. als Teilkonzernspitze mit Sitz in E. einen sog. "Konzern im Konzern". Beide Beklagte beschäftigen regelmäßig weit mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG, bei der Beklagten zu 1. sind zudem sowohl ein Betriebsrat als auch ein Sprecherausschuss der leitenden Angestellten vorhanden.

Der am 28.11.1965 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01.01.1997 im Konzern der Beklagten beschäftigt. Auf der Grundlage des noch mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.08.2009 (Blatt 13 ff. der Akte) nebst Nachtragsvereinbarung vom 20.10.2013 (Blatt 96 ff. der Akte) war er zuletzt als Leiter der Regionaldirektion Makler L. E. (N. D) gegen ein Jahresbruttogehalt von mehr als 120.000,- € bei der Beklagten zu 1. beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist dabei unter § 1 (2) wegen der Befugnisse des Klägers auf einen Kompetenzrahmen, wegen dessen Inhalts auf die Anlage B2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 23.02.2017 (Blatt 86 ff. der Akte) Bezug genommen wird. Unter § 1 (3) des Arbeitsvertrages ist weiter geregelt, dass der Kläger leitender Angestellter gemäß § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG sei und innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs im Rahmen der Personal- und Stellenplanung der F. berechtigt sei, selbständig Einstellungen und ...

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