Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Sachlegitimation der Betriebsveräußerin zur Stellung eines Auflösungsantrags für einen Auflösungszeitpunkt nach Betriebsübergang. Unzulässiger Streitbeitritt der Betriebserwerberin zur Stellung eines Auflösungsantrags der Betriebsveräußerin. Weiterbeschäftigungsantrag für die Zeit nach Betriebsübergang bei Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren gegen die Betriebsveräußerin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitgeber, der eine Kündigung vor einem Betriebsübergang ausgesprochen hat, kann aufgrund des Verlustes der Arbeitgeberstellung einen Auflösungsantrag nicht mehr stellen, wenn der Auflösungszeitpunkt zeitlich nach dem Betriebsübergang liegt.

2. Der Erwerber eines Betriebs kann dem zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer geführten Bestandsschutzverfahren auch dann nicht zur Stellung eines eigenen Auflösungsantrages beitreten, wenn der Betriebsveräußerer seinerseits wegen des Verlustes der Arbeitgeberstellung keinen Auflösungsantrag stellen kann.

3. Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren muss für die Zeit nach dem Betriebsübergang gegenüber dem Erwerber des Betriebs geltend gemacht werden. Der Betriebsveräußerer ist nicht in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO weiterhin prozessführungsbefugt.

 

Normenkette

BGB § 613a; ZPO § 265 Abs. 2, § 325 Abs. 1; KSchG § 9 Abs. 1 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, Abs. 3 Sätze 1-2, § 9 Abs. 1 S. 3, § 14 Abs. 2; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 67, 253 Abs. 2 Nr. 2, § 265 Abs. 2 Sätze 1-3, § 533

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 16.08.2017; Aktenzeichen 17 Ca 6322/16)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16. August 2017 - 17 Ca 6322/16 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Anschlussberufung der Beklagten zu 2) wird als unzulässig verworfen.
  3. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16. August 2017 - 17 Ca 6322/16 - wird zurückgewiesen.
  4. Die Gerichtskosten des ersten Rechtszuges werden wie folgt getragen: Der Kläger trägt 1/4 der Gerichtskosten, der eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 1/4 der außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Beklagten zu 1) und die außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) trägt 3/4 der Gerichtskosten, der eigenen außergerichtlichen Kosten und der außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten des Klägers. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt aufgeteilt: Der Kläger trägt 1/6 der Gerichtskosten und der eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) trägt 4/6 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie 4/5 der eigenen außergerichtlichen Kosten. Die Beklagte zu 2) trägt 1/6 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
  5. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1) vom 28. September 2016, einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers sowie über Auflösungsanträge der Beklagten.

Die Beklagte zu 1) betreibt den Vertrieb und die Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen, Investment-Fondsanteilen und anderen Finanzdienstleistungen und gehört zur E. Gruppe. Die E. Gruppe ist ein Teil des M. R.-Konzerns. Die Unternehmen der E. Gruppe bilden mit der Beklagten zu 2) als Teilkonzernspitze mit Sitz in D. einen sogenannten "Konzern im Konzern" im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne. Die Beklagte zu 1) beschäftigt rund 6.000 Mitarbeiter; die Beklagte zu 2) mehr als 10.000. Bei der Beklagten zu 1) war bis zum 31.12.2016 der gesamte Vertrieb innerhalb des E. Konzerns zentral zusammengefasst. Dieser bestand im Wesentlichen aus drei Vertriebswegen: Dem Maklervertrieb/Kooperationsvertrieb (Vertrieb der Versicherungsprodukte über freie Makler), der so genannten Ausschließlichkeit (Vertrieb über gebundene Vermittler iSv. §§ 84 ff. HGB) inkl. des Strukturvertriebs und dem Bankenvertrieb (Vertrieb über kooperierende Banken).

Der am X. September 19XX geborene und drei Personen zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 1. Oktober 1995 im Versicherungskonzern, dem die Beklagten angehören, beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgte zuletzt auf Basis des Vertrages vom 3. August 2009/1. März 2010 (Anl. K 1, Abl. 13 der Akte ArbG) mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1), auf die das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs spätestens zum 1. Januar 2015 übergegangen ist, als Leiter der Regionaldirektion ("Regionaldirektor") M. S. P. zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung iHv. 9.977,41 €. Die Regionaldirektion M. S. P. ist Teil des Vertriebswegs "Maklervertrieb".

Die vertraglichen Regelungen lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 1 Aufgabe

(1) Die E. überträgt Herrn J. H. die Leitung ihrer Regionaldirektion M. S. L. (nachstehend Regio...

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