Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Beschlussverkündung bei Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Wirksamkeit der Entscheidung an sich bei fehlerhafter Wahl der Zustellung statt Verkündung eines Beschlusses. Recht des Arbeitgebers zur gerichtlichen Feststellung nichtiger Errichtung eines Gesamtbetriebsrats. Kein generelles Recht zur Schaffung eines Gesamtbetriebsrats im Luftfahrtunternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Arbeitsgericht von der Möglichkeit des § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG Gebrauch gemacht, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, so ist der Beschluss in einem vom Gericht zu bestimmenden Termin gemäß §§ 84 Satz 3, 60 ArbGG zu verkünden.

2. Wird ein Beschluss nach § 84 ArbGG statt durch Verkündung in öffentlicher Sitzung durch Zustellung bekannt gemacht, liegt hierin ein auf die Wahl der Verlautbarung beschränkter Verfahrensfehler. Dieser steht dem wirksamen Erlass der Entscheidung nicht entgegen, wenn der Richter zwar die vorschriftsmäßige Verkündung unterlässt, die Entscheidung aber mit seinem Wissen und Wollen zugestellt wird. Voraussetzung ist, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt gewesen ist oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden.

3. Die Nichtigkeit der Errichtung eines Gesamtbetriebsrats kann z.B. die Arbeitgeberin gerichtlich feststellen lassen, ohne an Verfahrensvorschriften, wie sie bei der Wahl eines Betriebsrats gelten, gebunden zu sein.

4. Bei Vorliegen eines Tarifvertrags nach Absatz 2 Satz 1 für die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer ist ausschließlich dieser die konstitutive Regelungsgrundlage für die Struktur der betrieblichen Mitbestimmung. Eine Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Normen kann nur über eine entsprechende Bezugnahme durch die Tarifvertragsparteien erreicht werden.

5. Die Schaffung einer Gesamtvertretung kommt bei einem Luftfahrtunternehmen nur dann in Betracht, wenn entweder eine Tarifzuständigkeit der abschließenden Gewerkschaft für alle Arbeitnehmer besteht und der Geltungsbereich des Tarifvertrags entsprechend umfassend formuliert ist, oder wenn ein mehrgliedriger Tarifvertrag mit allen beteiligten Gewerkschaften abgeschlossen wird.

 

Normenkette

ArbGG § 83 Abs. 4 S. 3, § 84 S. 3, § 60; BetrVG §§ 47, 117 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2; ArbGG § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.06.2020; Aktenzeichen 10 BV 26/20)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 17.08.2022; Aktenzeichen 7 ABR 3/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. bis 4. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.06.2020 - Az. 10 BV 26/20 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die wirksame Errichtung und Konstituierung eines Gesamtbetriebsrates.

Die Antragstellerin (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist eine Luftverkehrsgesellschaft mit Sitz in E.. Sie beschäftigt ca. 580 Mitarbeiter im Bereich des Cockpits, 1.100 Mitarbeiter im Bereich des Kabinenpersonals und zehn Mitarbeiter im Bereich des Bodenpersonals. Die Beteiligte zu 3. ist die auf der Grundlage des mit der Vereinigung Cockpit e.V. abgeschlossenen "Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 2 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der F. GmbH" vom 19.03.2018 (im Folgenden: TV PV Cockpit) errichtete Personalvertretung. Die Beteiligte zu 4. ist die auf der Grundlage des mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) abgeschlossenen "Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 1 für die Beschäftigten des Kabinenpersonals der F. GmbH" vom 20.08.2019 (im Folgenden: TV PV Kabine) errichtete Personalvertretung. Der Beteiligte zu 5. ist der für den Bereich des Bodenpersonals nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes errichtete Betriebsrat.

Der TV PV Kabine bestimmt unter anderem:

"§ 1 Errichtung der Personalvertretung

(1) Im Flugbetrieb der F. wird eine eigenständige Personalvertretung für die Kabinenmitarbeiter (nachfolgend Personalvertretung genannt) gewählt. [...]

(3) Sofern durch diesen Tarifvertrag nichts anderes bestimmt wird, findet für das Kabinenpersonal der F. und dessen Personalvertretung das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

(4) Sofern in diesem Tarifvertrag nichts anderes geregelt ist, entspricht der Begriff "Personalvertretung" dem Begriff "Betriebsrat" in der deutschen Gesetzgebung. Gleiches gilt für ähnliche begriffliche Anpassungen (wie z.B. Personalversammlung = Betriebsversammlung).

§ 2 Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Kabinenmitarbeiter der F.. [...]"

Der TV PV Cockpit bestimmt:

"§ 1 Errichtung der Personalvertretung

(1 )Im Flugbetrieb der F. wird eine eigenständige Personalvertretung für die Cockpitmitarbeiter (nachfolgend Personalvertretung genannt) gewählt. [...]

(3) Sofern durch diesen Tarifvertrag nichts anderes bestimmt wird, findet für das Cockpitpersonal der F. und dessen Personalvertretung das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in der jeweils gültigen F...

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