Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Gegenrechnung in einem Arbeitszeitkonto bei Zahlung einer Zulage für die Verteilung von „Infopost schwer”

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG tritt nicht ein, wenn der Tarifvertrag nur lückenhafte oder ergänzungsbedürftige Rahmenregelungen enthält. Auch wenn die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Angelegenheit einfach nicht regeln, z.B. weil sie sich hierüber nicht haben einigen können, tritt die Sperrwirkung nicht ein.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 3; D. P. AG §§ 3-4, 10 TV Nr. 88; D. P. AB § 2 TV Nrn. 112b, 130a, 147b

 

Verfahrensgang

ArbG Cottbus (Urteil vom 09.09.2009; Aktenzeichen 2 Ca 537/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.01.2012; Aktenzeichen 1 AZR 482/10)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 09.09.2009 – 2 Ca 537/09 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers eine Zeitgutschrift in Höhe von 11 Stunden und 35 Minuten vorzunehmen ist.

Der Kläger ist Briefzusteller und trägt u. a. die so genannte „Infopost schwer” (Kataloge u. ä.) aus. Der Kläger erhält für jede Sendung eine tarifvertraglich geregelte Zahlung in Höhe von 0,43 EUR. Aufgrund einer Betriebsvereinbarung rechnet die Beklagte für je 42 Sendungen 1 Stunde im Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmer gegen. Insofern nahm die Beklagte Abzüge am 14., 21., 28. und 31. Dezember 2008 und am 11. und 18. Januar 2009 in Höhe von insgesamt 11 Stunden und 35 Minuten vor.

Der Kläger wendet sich gegen diese Abzüge mit dem Argument, die Betriebsvereinbarung verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Eine Gegenrechnung sei im Tarifvertrag nicht geregelt.

Hinsichtlich des übrigen unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Cottbus hat mit Urteil vom 9. September 2009 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hierzu ausgeführt, dass § 2 des Tarifvertrages „stückbezogene Zulagen” (TV Nr. 130 b) abschließend sei. Dieser regele die Zahlung eines Stücklohnes, wodurch alle Tätigkeiten abgegolten seien. Würde keine Gegenrechnung erfolgen, würde es für die Zustellung von Stückgütern eine zusätzliche zeitwirtschaftliche Erfassung und Bezahlung geben. Die Betriebsvereinbarung Nr. 10 verstoße auch nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Durch die entsprechenden Tarifverträge werde Sperrwirkung nicht entfaltet. Vielmehr regele der Tarifvertrag abschließend, dass eine zeitwirtschaftliche Erfassung nicht erfolgen dürfe. Auch seien mit Bezahlung des Stücklohnes alle Tätigkeiten abgegolten. Unterließe die Beklagte eine Gegenrechnung, wäre dies ein Verstoß gegen den TV Nr. 130 b. Alles andere liefe auf eine doppelte Bezahlung im Rahmen von Stücklohn und Zeitlohn hinaus. Der Kläger werde durch diese Regelung auch nicht benachteiligt.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 17. September 2009 zugestellt worden. Die Berufung ging am 19. Oktober 2009 (Montag) beim Landesarbeitsgericht ein. Nach Verlängerung bis zum 17. Dezember 2009 erfolgte die Begründung am selben Tag. Der Kläger ist der Ansicht, die Zulage „Stücklohn” müsse neben dem Monatsgrundentgelt gezahlt werden. Gerade weil der TV Nr. 130 b im Gegensatz zum TV Nr. 88 keine Gegenrechnung mehr vorsieht, könne dieser Tarifvertrag auch keine Grundlage für eine Gegenrechnung mehr sein. Insofern verstoße die Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Der TV Nr. 130 b sei nicht betriebsvereinbarungsoffen. Die Betriebsvereinbarung greife auch in § 14 Entgelt-TV ein, da tatsächlich erbrachte Zeiten nicht mitberücksichtigt würden. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Gegenrechnung gewollt, dann hätten sie diese regeln müssen. Die Ansicht der Beklagten stünde auch im Widerspruch zur Behandlung der stücklohnbezogenen Zulagen im Rahmen des Aufstockungsbetrages bei der Altersteilzeit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 09.09.2009, 2 Ca 537/09, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, auf seinem Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift in Höhe von 11,35 Stunden vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass auch nach der tarifvertraglichen Regelung eine Gegenrechnung notwendig sei, um eine doppelte Vergütung zu vermeiden.

Zu der Frage, ob der Tarifvertrag Nr. 130 b so auszulegen sei, dass eine Gegenrechnung im Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers unzulässig ist, ist eine Tarifauskunft eingeholt worden. Die D. P. AG hat hierauf mit Schreiben vom 12. April 2010 (Bl. 181 ff. d. A.) und v. mit Schreiben vom 18. April 2010 (Bl. 255 ff. d. A.) geantwortet. Hierauf wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Insofern war sie zurückzuweisen.

I.

Die Berufung ist statthaft, da sie vom Arbeitsgericht zugelassen worden ist (§ 64 Abs. 2 a ArbGG). Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist d...

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