Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen einer Änderung der Rechtslage hinsichtlich des Streitgegenstandes eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Änderung der Rechtslage, die ein Tatbestandsmerkmal - hier die Anwendbarkeit von Tarifverträgen - betrifft, führt bei Beibehaltung des Klageantrags u. gleichbleibenden Lebenssachverhalt nicht zu einer Klageänderung.

2. Unabhängig davon wäre bei Annahme einer Klageänderung eine - für eine Klageänderung seitens des Berufungsbeklagten erforderliche - Anschlussberufung noch nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist zulässig.

 

Normenkette

SokaSiG

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.07.2016; Aktenzeichen 15 Ca 80785/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 30.10.2019; Aktenzeichen 10 AZR 38/18)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.07.2016 - 15 Ca 80785/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für einen gewerblichen Arbeitnehmer für die Monate Juli und August 2014 in Höhe des Mindestbeitrages von jeweils 546,00 Euro (Berlin-Ost).

Die Beklagten, die einen Trockenbau- und Montagebetrieb führen, halten sich wegen fehlender Mitgliedschaft in einem der tarifschließenden Verbände - HDB und ZDB - und wegen Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) für nicht an den Tarifvertrag gebunden.

Das Arbeitsgericht hat mit dem am 12.07.2016 verkündeten Urteil die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.092,00 Euro verurteilt und zur Begründung auf die Ausführungen des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Urteil vom 23.04.2015 - 24 Sa 1260/15 - wiedergegeben, das bei gleichem Rubrum die Beitragsforderungen für die Monate Januar bis Juni 2014 zum Gegenstand hatte, und in dem von der Wirksamkeit der AVE 2014 ausgegangen wurde.

Gegen dieses ihnen am 07.10.2016 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit dem am 14.10.2016 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig zunächst damit begründet, dass das Bundesarbeitsgericht mit dem Beschluss vom 21.09.2016 - 10 ABR 48/15 - die AVE vom 17.03.2014 des VTV-Bau vom 03.05.2013 i. d. F. vom 03.12.2013 für unwirksam erklärt hat.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz - SokaSiG) vom 16.05.2017 (BGBl. I S. 1210) am 25.05.2017 ohne Übergangsregelung vertreten die Beklagten die Auffassung, dieses Gesetz sei verfassungswidrig. Es verstoße gegen das Rückwirkungsverbot, das Verbot des Einzelfallgesetzes, gegen die negative Koalitionsfreiheit und das Prinzip der Gewaltenteilung, was im Einzelnen ausgeführt wird und weshalb ein Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG angeregt werde.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.07.2016 - 15 Ca 80785/16 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG auf die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 02.06.2017 - 10 Sa 907/16 - (Revision eingelegt - 10 AZR 318/17).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässige Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO. Die Beklagten konnten sich zunächst zur Begründung ihrer Berufung darauf beschränken, auf die Unwirksamkeit der AVE 2014 zu verweisen.

2. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Beklagten schulden als Gesellschafter einer GbR gesamtschuldnerisch Beiträge gemäß § 15 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 03.05.2013 in der Fassung vom 03.12.2013, da sie unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fallen und (mindestens) einen gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen.

Die Geltung dieser Tarifnorm beruht zwar nicht auf der AVE vom 01.04.2014, die nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.08.2016 - 10 ABR 48/15 - unwirksam ist (vgl. Bekanntmachung vom 08.12.2016, Bundesanzeiger vom 14.12.2016). Vielmehr findet der VTV in der vorliegend maßgeblichen Fassung gemäß § 7 Abs. 3 SokaSiG Anwendung.

2.1 Dieser Anwendung steht nicht entgegen, dass der Kläger sich erst nach Ablauf der bis zum 16.01.2017 verlängerten Berufungsbeantwortungsfrist auf das SokaSiG gestützt hat und bis dahin lediglich auf das laufende Gesetzgebungsverfahren verwiesen und die Beitragspflicht mit einer Fortwirkung der AVE 2006 begründet hat im Hinblick auf den nach Rücknahme der Rechtsbeschwerde rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.08.2015 - 7 B...

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