Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkung von belastenden Gesetzen

 

Leitsatz (redaktionell)

Rechtsnormen kommen dann zur Anwendung, wenn sie im Zeitpunkt der Urteilsverkündung in Kraft sind. Ein Verstoß gegen das Verbot der Rückwirkung belastender Gesetze liegt dabei nicht vor.

 

Normenkette

SokaSiG § 7 Abs. 3; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 S. 1; SokaSiG § 7 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 01.02.2018; Aktenzeichen 62 Ca 80973/17)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. Februar 2018 - 62 Ca 80973/17 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von ihm selbst gemeldeter Sozialkassenbeiträge für die Monate November 2013 bis einschließlich September 2014 in Höhe von insgesamt 1.743,79 Euro.

Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft und als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien seit 2010 nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: VTV) die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Der VTV wurde seit vielen Jahren und auch für die streitgegenständlichen Zeiträume für allgemeinverbindlich erklärt. Der für die zweite Jahreshälfte 2013 maßgebliche VTV vom 3. Mai 2013 (im Folgenden: VTV 2013 II) wurde mit Bekanntmachung vom 25. Oktober 2013 (BAnz. AT 4. November 2013 B2 in der berichtigten Fassung vom 13. März 2014 BAnz. AT 14. März 2014 B2) mit Wirkung ab dem 1. Juli 2013 für allgemeinverbindlich erklärt und der für das Jahr 2014 maßgebliche VTV vom 3. Mai 2013 in der Fassung vom 3. Dezember 2013 (im Folgenden: VTV 2014) durch Bekanntmachung vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2014.

Der Beklagte unterhielt in den Kalenderjahren 2013 und 2014 einen Vollwärmeschutzbetrieb in Kirchberg in Sachsen. Als solcher brachte er auf neuen und bereits bestehenden älteren Bauwerken Wärmedämmverbundsysteme auf. Gegenüber dem Kläger gab er Beitragsmeldungen zu den Sozialkassen des Baugewerbes ab. Er ist nicht Mitglied in einem der tarifschließenden Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft.

Mit mehreren Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15 - und vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 und 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV für die Jahre 2008 bis 2014 für unwirksam erklärt. Nach dem Erlass der ersten beiden Beschlüsse wurde ein Gesetzgebungsverfahren zur Sicherung der Sozialkassenverfahren initiiert. Am 13. Dezember 2016 brachten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen entsprechenden Gesetzentwurf (BT-Drucks. 18/10631) in den Deutschen Bundestag ein. Am 26. Januar 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassensicherungsgesetz - SokaSiG). Das Gesetz wurde am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I S. 1210 ff.) und ist am 25. Mai 2017 ohne Übergangsvorschrift in Kraft getreten (§ 14). Es sieht vor, dass der VTV in seinem Geltungsbereich für alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 unabhängig von einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung (§ 7 Abs. 1 bis 10) und seiner sonstigen Wirksamkeit (§ 11) gilt. Das Gesetz erfasst ua. auch die Regelungen des VTV 2013 II und des VTV 2014.

Mit am 13. April 2016 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenem Mahnantrag vom 29. März 2016 hat der Kläger den Beklagten auf die Zahlung der von dem Beklagten für November 2013 nachgemeldeten und für die Monate Dezember 2013 bis einschließlich Juni 2014 gemeldeten Sozialkassenbeiträge in Höhe von insgesamt 1.743,79 Euro in Anspruch genommen. Der daraufhin ergangene Mahnbescheid vom 29. April 2016 ist dem Beklagten am 30. April 2016 zugestellt worden. Gegen den Mahnbescheid hat der Beklagte am 9. Mai 2016 Widerspruch eingelegt. Nachdem der Kläger die Ansprüche zunächst auf die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2013 II und des VTV 2014 gestützt hatte, hat er sich zuletzt, erstmals mit Schriftsatz vom 23. Juni 2017, auf das Sozialkassensicherungsgesetz berufen.

Auf Rüge des Beklagten hat sich das Arbeitsgericht Berlin mit Beschluss vom 23. Oktober 2017 für örtlich zuständig erklärt.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.743,79 Euro zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Klagevortrag sei bereits nicht schlüssig. Außerdem sei er als nicht verbandsgebundener Betrieb im fraglichen Zeitraum aufgrund der Unwirksamkeit der einschlägigen Allgemeinverbindlicherklärungen nicht beitragspflichtig gewesen. Durch das Sozialkassensicherungsgesetz ergebe sich keine andere Betrachtungsweise. Im Übrigen hat der Beklagte die Einrede ...

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