Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG

 

Leitsatz (redaktionell)

Das SokaSiG begegnet auch hinsichtlich der insoweit angeordneten echten Rückwirkung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es stellt einen Rechtsgrund für zu früheren Zeiten gezahlte Beiträge im Sozialkassenverfahren des Baugewerbes dar, so dass eine Rückforderung aus Bereicherungsrecht ausscheidet.

 

Normenkette

BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 12, 14; GRC Art. 16; SokaSiG § 7 Abs. 3, 7; VTV § 3 Abs. 3; SokaSiG

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.11.2017; Aktenzeichen 61 Ca 80369/17)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. November 2017 - 61 Ca 80369/17- wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der für die Jahre 2010, 2011 und 2014 gezahlten Sozialkassenbeiträge unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung.

Die Klägerin unterhielt in den streitgegenständlichen Jahren einen Baubetrieb in 02694 K. in Brandenburg. Sie ist in keinem der tarifschließenden Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft Mitglied.

Der Beklagte ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft und als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien seit 2010 nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: VTV) die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Der VTV wurde seit vielen Jahren und auch für die streitgegenständlichen Zeiträume für allgemeinverbindlich erklärt. Der für die Jahre 2010 und 2011 maßgebliche VTV vom 18. Dezember 2009 (im Folgenden: VTV 2010) wurde durch Bekanntmachung vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 vom 2. Juli 2010) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 für allgemeinverbindlich erklärt und der für das Jahr 2014 maßgebliche VTV vom 3. Mai 2013 in der Fassung vom 3. Dezember 2013 (im Folgenden: VTV 2014) durch Bekanntmachung vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2014.

Die Klägerin zahlte an den Beklagten auf der Grundlage der jeweiligen Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV Sozialkassenbeiträge für die Jahre 2010, 2011 und 2014 in Höhe von insgesamt 116.176,42 Euro und erhielt im Gegenzug Erstattungsleistungen, deren Höhe zwischen den Parteien teilweise streitig ist.

Mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 (10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15) hat das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen des für die Jahre 2008 und 2009 maßgeblichen VTV 2008 und des für die Jahre 2010 und 2011 maßgeblichen VTV 2010 sowie des für das Jahr 2014 maßgeblichen VTV 2014 für unwirksam erklärt. Mit zwei weiteren Beschlüssen vom 25. Januar 2017 (10 ABR 43/15 und 10 ABR 34/15) hat es die Allgemeinverbindlicherklärungen des für das Jahr 2012 maßgeblichen VTV 2012 und des für das Jahr 2013 maßgeblichen VTV 2013 ebenfalls für unwirksam erklärt. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. August 2015 (7 BVL 5007/14 und 7 BVL 5008/14), mit dem das Landesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung ua. des für die Jahre 2006 und 2007 maßgeblichen VTV 2006 für wirksam erklärt hat, ist rechtskräftig. Die gegen den Beschluss beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Rechtsbeschwerde wurde zurückgenommen.

Nach dem Erlass der ersten beiden Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts wurde ein Gesetzgebungsverfahren zur Sicherung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert. Am 13. Dezember 2016 brachten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen entsprechenden Gesetzentwurf (BT Drucks. 18/10631) in den Deutschen Bundestag ein. Am 26. Januar 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassensicherungsgesetz - SokaSiG). Das Gesetz wurde am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I S. 1210 ff.) und ist am 25. Mai 2017 ohne Übergangsvorschrift in Kraft getreten (§ 14). Es sieht vor, dass der VTV in seinem Geltungsbereich für alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 unabhängig von einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung (§ 7 Abs. 1 bis 10) und seiner sonstigen Wirksamkeit (§ 11) gilt. Das Gesetz erfasst ua. auch die Regelungen des VTV 2010 und des VTV 2014.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 nahm die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 14. Dezember 2016 auf Rückzahlung von insgesamt 39.070,12 Euro in Anspruch. Mit der am 7. Februar 2017 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sie den Anspruch weiterverfolgt.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe für die Jahre 2010, 2011 und 2014 insgesamt 91.274,04 Euro an Erstattungen erhalten. Sie hat die Auffassung vertreten, wegen der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen habe sie nach § 812 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten einen A...

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