Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung von Praktikum und Arbeitsverhältnis. Sittenwidrigkeit einer Vergütungsabrede

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein "Praktikum" ist nur dann kein Arbeitsverhältnis, wenn ein Ausbildungszweck "im Vordergrund" steht (BAG vom 13.03.2003 - 6 AZR 564/01 - juris Rn. 35; BAG vom 05.08.1965 - 2 AZR 439/64 - juris Rn. 20). Daran hat auch § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG nichts geändert.

2. Praktika von bereits fertigen Absolventen eines einschlägigen Studiums, die lediglich dem Einstieg in den Arbeitsmarkt dienen, jedoch überwiegend mit üblichen Arbeitsaufgaben von Arbeitnehmern verbunden sind, sind Scheinpraktika und Arbeitsverhältnisse.

3. Ein "Praktikant" ist für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses darlegungs- und beweispflichtig. Zu seinem Gunsten können jedoch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast greifen (LAG Baden-Württemberg vom 08.02.2008 - 5 Sa 45/07 - juris Rn. 35 = NZA 2008, 768).

4. Enthält ein "Praktikanten-Vertrag" typische Arbeitnehmerpflichten, insbesondere eine tägliche Anwesenheitspflicht von acht Stunden und eine Tätigkeit nach Weisung eines Mitarbeiters des Vertragspartners und in dessen Großraumbüro, trifft den Vertragspartner die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, dass ein Ausbildungszweck überwiegt und worin sich das "Praktikum" von einem Berufsanfänger-Arbeitsverhältnis unterscheidet.

Dies um so mehr, wenn der Praktikanten-Vertrag für ein Jahr mit einer Absolventin eines einschlägigen Studiums abgeschlossen wird, ohne dass das Praktikum nach der Studienordnung vorgeschrieben wäre.

5. Es liegen die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Vergütung zumindest in Form eines wucherähnlichen Geschäfts i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB vor, wenn für eine überwiegend Redakteurinnentätigkeit die vereinbarte Praktikumsvergütung 400,00 € beträgt, der Bezugslohn für Redakteurinnen des einschlägigen und im betreffenden Wirtschaftszweig üblichen Tarifvertrages jedoch bei über 3000,00 € liegt.

Auf Grund eines besonders auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung ist in diesem Fall eine "verwerfliche Gesinnung" des Arbeitgebers zu vermuten.

6. Ein Praktikant ist für eine übliche Vergütung darlegungs- und beweispflichtig (BAG vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11 - juris Rn. 29 = NZA 2012, 908). Für die Üblichkeit eines Tariflohns kommt eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO (nur) in Betracht, wenn der Praktikant ausreichend Anknüpfungstatsachen vorträgt (BAG vom 17.12.2014 - 5 AZR 663/13 - juris Rn. 29 = NJW 2015, 1709).

 

Normenkette

BGB §§ 134, 138, 611-612; MiLoG § 22 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.07.2015; Aktenzeichen 18 Ca 1314/15)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.07.2015 - 18 Ca 1314/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die als "Praktikantin" eingestellte Klägerin begehrt für eine Tätigkeit in der Zeit vor und nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) am 16.08.2014 eine Arbeitsvergütung in Höhe des Tariflohns einer Redakteurin abzüglich der gezahlten Praktikantenvergütung in Höhe von 400,00 €.

Die Beklagte ist eine Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Sie gibt unter anderem das international verlegte Lifestyle-Magazin "Quality Magazine" heraus. Für das Magazin gibt es eine Print- und eine Online-Ausgabe. Die Redaktion Deutschland befindet sich in einem Großraumbüro in West-Berlin.

Die Klägerin studierte das Fach "Modejournalistin" und bewarb sich kurz vor Abschluss des Studiums, das sie im Januar 2014 absolvierte, für eine Stelle als "Redaktionspraktikantin". Dass die Klägerin das Praktikum nach der Studienordnung ihres Studiums noch benötigte, hat keine Seite vorgetragen. Die Parteien schlossen unter dem 21.11.2013 einen "Praktikanten-Vertrag". Darin ist u.a. geregelt:

"§ 1 Einsatzbereich/Tätigkeit

Der Praktikant wird in der Zeit vom 04/11/2013. bis 03/11/2014. entsprechend dem Betriebsplan des Betriebes zum Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen im Fachbereich der Redaktion und Realisation als Autor. Betreuung und Durchführung redaktioneller Projekte. Recherche. Themenentwicklung der Firma eingesetzt. Einsatz: Redaktion Deutschland nichtselbständige Niederlassung ...

Die tägliche Ausbildungszeit beträgt mindestens. 8 Stunden.

§ 2 Vergütung/Urlaub

Der Praktikant erhält eine ... Vergütung in Höhe von 400,-€ von der Firma. ... Urlaubstage errechnen sich auf 25 pro Jahr und müssen mindestens 2 Monate vorher angemeldet werden.

§ 3 Pflichten der Firma

Die Firma ist im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten verpflichtet,

- die nach dem Ausbildungsplan erforderlichen Erfahrung und Kenntnisse durch eine oder mehrere geeignete Personen zu vermitteln,

- die zum Besuch der Universität/sonstiger Einrichtung notwendige Freizeit zu gewähren,

- mit der Universität/sonstiger Einrichtung in allen die Ausbildung betreffenden Fragen zusammenzuarbeiten,

§ 4 Pflichten des Praktikanten

Der Praktikant ist verpflichtet,

- unter Einhaltung des Aus...

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