Entscheidungsstichwort (Thema)

Sittenwidrigkeit einer Vergütungsabrede. Ermittlung der verkehrsüblichen Vergütung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Ermittlung eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung i.S.d. § 138 BGB ist auf die verkehrsübliche Vergütung abzustellen. Bei Fehlen eines üblichen Tarifentgelts ist auf das allgemeine Entgeltniveau im einschlägigen Wirtschaftszweig des maßgeblichen Wirtschaftsgebietes für den jeweiligen streitgegenständlichen Zeitraum abzustellen (vgl. BAG vom 23.05.2001 - 5 AZR 527/99 - juris Rn. 17).

2. Welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen des Arbeitgebers zuzuordnen ist, richtet sich nach der unionsrechtlich vorgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Statistische Bundesamt (BAG vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11 - juris Rn. 28 = NZA 2012, 908).

3. Eine berufsbezogene - und nicht wirtschaftszweigbezogene - Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes ist im Normalfall zur Ermittlung des allgemeinen Entgeltniveaus im einschlägigen Wirtschaftszweig ungeeignet (Abgrenzung zu LAG Berlin-Brandenburg vom 09.02.2011 - 20 Sa 1430/10 - juris und zu LAG Berlin-Brandenburg vom 11.04.2013 - 14 Sa 1919/12 - unveröff.).

 

Normenkette

BGB §§ 138, 611, 612 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Cottbus (Entscheidung vom 16.06.2015; Aktenzeichen 3 Ca 1444/14)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 16.06.2015 - 3 Ca 1444/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die klägerische Partei macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Entgeltdifferenzen aus dem Zeitraum Januar 2011 bis März 2014 auf Grund behaupteter sittenwidriger Entlohnung geltend.

Der Beklagte erbrachte als Kreisverband des Deutschen R. K. mit über 100 Arbeitnehmern Betreuungs- und Pflegeleistungen in Forst und im Landkreis Spree-Neiße. Er unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum einen Fahrdienst, der hauptsächlich Schülerspezialverkehr, aber auch Mietverkehrsfahrten und Krankenkassenfahrten erledigte. Der Beklagte war nicht tarifgebunden. Es waren im streitgegenständlichen Zeitraum weniger als 50 % der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Wirtschaftsgebietes tarifgebunden.

Der Beklagte beschäftigte die Klägerin seit dem 19.05.2008 als Kraftfahrerin im Fahrdienst. Zunächst beschäftigte der Beklagte die Klägerin als geringfügig Beschäftigte mit einer Stundenvergütung von gerundet 2,55 € brutto. Eine Vielzahl anderer zu diesen Arbeitsbedingungen beschäftigen Arbeitnehmern klagten vor dem Arbeitsgericht Cottbus aufgrund der aus ihrer Sicht sittenwidrigen Vergütung. Im Gütetermin schätzten die Vorsitzenden des Arbeitsgerichts Cottbus eine Vergütung in Höhe von 2,55 € brutto als sittenwidrig ein, da die ortsübliche Vergütung bei rund 7,50 € pro Stunde läge. Die Verfahren endeten durch gerichtliche Vergleiche.

Mit Wirkung ab dem 01.12.2008 änderten die Parteien die arbeitsvertraglichen Bedingungen. Auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 19.11.2008 in der Fassung des Änderungsvertrages vom 04.10.2010, beschäftigte der Beklagte die Klägerin nunmehr in einer 40-Stunden-Woche bei einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 956,00 €. In den Monaten Mai 2012 bis Juli 2012, Januar, März, Juni und Juli 2013 erzielte sie eine höhere Vergütung.

Für das Deutsche R. K. existiert ein D.-Reformtarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des D. vom 15.08.2007. Nach dem D.-Reformtarifvertrag aus dem Jahr 2007 betrug das Stundenentgelt eines Kraftfahrers in der niedrigsten Stufe 8,66 €. Der Beklagte ist nicht tarifgebunden. In den neuen Bundesländern sind nicht mehr als 50% der Arbeitnehmer und Arbeitgeber tarifgebunden.

Nach der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes bezogen auf das Jahr 2010 betrug das monatliche Bruttoeinkommen eines Kraftfahrzeugführers, mithin eines Kraftfahrers wie die Klägerin, monatlich bezogen auf eine 40-Stunden-Woche 1.769,00 € brutto, bezogen auf eine einzelne Arbeitsstunde nach der Verdiensterhebung selbst 9,68 € brutto/h.

Mit der am 30.12.2014 eingereichten Klage begehrt die klägerische Partei nunmehr Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum Januar 2011 bis einschließlich März 2014. Der von dem Beklagten gezahlte umgerechnete Stundenlohn in Höhe von 5,52 € brutto sei sittenwidrig. Aus den Erhebungen des statistischen Bundesamtes ergebe sich ein ortsüblicher Verdienst für Kraftfahrzeugführer in Höhe von 10,20 € brutto pro Stunde.

Die klägerische Partei hat die Auffassung vertreten, dass die Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes für den Beruf der Kraftfahrzeugführer für das Jahr 2010 den für die klägerische Partei maßgeblichen Referenzlohn darstelle. Dies ergebe sich auch aus den einschlägigen Urteilen des LAG Berlin-Brandenburg vom 09.02.2011 - 20 Sa 1430/10 - juris und vom 11.04.2013 - 14 Sa 1919/12 - unveröff. Die Erhebung des Bundesamtes gebe einen Durchschnittswert für alle Kraftfahrzeugführer - vom Taxifahrer bis zum Kranführer - wieder, sei aber gerade als...

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