Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung eines Schriftstücks an eine juristische Person. Rechtsfolgen der Nichteinhaltung der Frist zur gerichtlichen Geltendmachung von Ermessensüberschreitungen der Einigungsstelle. Umfang des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats hinsichtlich der Bestimmung der Aufgaben der betriebsärztlichen Fachkraft und der Fachkraft für Arbeitssicherheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einer juristischen Person kann nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch in Geschäftsräumen wirksam zugestellt werden, in denen ihre gesetzliche Vertretung nicht üblicherweise selbst tätig ist.

2. Bei der Frist nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG zur gerichtlichen Geltendmachung von Ermessenüberschreitungen der Einigungsstelle handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Rechtsfolge der Nichteinhaltung der Frist ist nicht die Unzulässigkeit des Antrages auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs sondern die Heilung etwaiger Ermessensüberschreitungen.

3. Die Bestimmung der Aufgaben der betriebsärztlichen Fachkraft und der Fachkraft für Arbeitssicherheit und deren Aufteilung unterliegt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG oder § 9 Abs. 3 Satz 2 ASiG. Das gilt auch für die Konkretisierung der nach der DGUV Vorschrift 2 im Rahmen der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Grundbetreuung wahrzunehmenden Aufgaben und deren Aufteilung.

4. Kommt die Einigungsstelle durch einen Spruch ihrem Regelungsauftrag nicht oder nicht vollständig nach, ist der Spruch rechtsfehlerhaft und nicht nur ermessensfehlerhaft.

5. Nach unionsrechtskonformer Auslegung der §§ 1 und 19 ASiG hat die Bestellung innerbetrieblicher Fachkräfte gegenüber der Beauftragung freiberuflich tätiger Fachkräfte oder eines überbetrieblichen Dienstes Vorrang.

 

Normenkette

ArbGG § 89 Abs. 2 S. 2; ASiG §§ 1, 9, 19; BertVG § 87 Abs. 1 Nr. 7; BetrVG § 76 Abs. 5; ZPO §§ 167, 178 Abs. 1 Nr. 2, § 189; DGUV Vorschrift 2; RL 89/39/EWG Art. 7

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.01.2016; Aktenzeichen 1 BV 12064/15)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Januar 2016 - 1 BV 12064/15 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle "Betriebsvereinbarung über den Einsatz der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes sowie den Arbeitsschutzausschuss" vom 19. August 2015 unwirksam ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle bezüglich des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zur Regelung des Einsatzes der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der betriebsärztlichen Fachkraft.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und hat ihren Sitz in Nürnberg. Sie betreibt in Berlin u. a. den Betrieb "Kunde A.". Dabei handelt es sich um ein Callcenter mit ca. 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der für den Betrieb "Kunde A." gebildete elfköpfige Betriebsrat.

Im Sommer 2015 verhandelten die Parteien vor der Einigungsstelle über die Ausgestaltung der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung durch eine betriebsärztliche Fachkraft (BA) und eine Fachkraft für Arbeitssicherheit (FaSi) nach dem Arbeitssicherheitsgesetz und der Unfallverhütungsvorschrift "Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit" (DGUV Vorschrift 2) sowie über die Ausgestaltung der Tätigkeit des Arbeitsschutzausschusses (ASA) nach dem Arbeitssicherheitsgesetz. Das Einigungsstellenverfahren endete bezüglich der Ausgestaltung der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung durch einen Spruch, die "Betriebsvereinbarung über den Einsatz der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes sowie den Arbeitsschutzausschuss". Bezüglich der Ausgestaltung des Arbeitsschutzausschusses schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung, die "Betriebsvereinbarung über den Arbeitsschutzausschuss". Wegen des Inhalts dieser Betriebsvereinbarung wird auf deren Ablichtung (Bl. 19 f. d. A.) verwiesen. Der Spruch der Einigungsstelle erging am 19. August 2015 und hat auszugsweise - sprachlich nicht bereinigt - folgenden Inhalt:

"...

3. Aufgabenwahrnehmung FaSi und Betriebsarzt

(1) Die Verpflichtung der Arbeitgeberin, Betriebsärzte (§ 2 ASiG) und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (§ 5 ASiG) zu bestellen, wird dadurch erfüllt, dass die Arbeitgeberin einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten bzw. Fachkräften für Arbeitssicherheit zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 3 ASiG bzw. § 6 ASiG jeweils i.V.m. den Vorgaben der DGUV Vorschrift 2 verpflichtet, da die Möglichkeiten im Betrieb nicht ausreichen, um dies innerbetrieblich zu organisieren.

(2) Die Arbeitgeberin verpflichtet zunächst die B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH, Standort Berlin (nachfolgend auch "BAD" genannt) schriftlich als überbetrieblichen Dienst ...

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