Entscheidungsstichwort (Thema)

Persönlichkeitsrecht. Videoüberwachung durch Spruch der Einigungsstelle eingeführt

 

Leitsatz (redaktionell)

Der durch eine Videoüberwachung bewirkte Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist durch das überwiegende Interesse des Arbeitgebers gerechtfertigt, wenn damit dem Verlust von Postsendungen durch strafbare Handlungen der Arbeitnehmer in einem Briefzentrum begegnet werden soll.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 15.08.2002; Aktenzeichen 41 BV 4690/02)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 29.06.2004; Aktenzeichen 1 ABR 21/03)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. August 2002 – 41 BV 4690/02 – wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruches vom 26. November 2001 über die Einführung einer Videoüberwachungsanlage der Arbeitgeberin.

Die Arbeitgeberin, die D.P. AG, betreibt unter anderem das Briefzentrum Niederlassung Produktion BRIEF in Berlin-Zentrum, in welchem die mit der Postleitzahl beginnend mit den Ziffern 10 ein- und abgehenden Postmengen umgesetzt werden. Die dort eingehenden Sendungen werden teilweise per Hand bearbeitet, insbesondere sortiert (ca. 10%), sodann werden sie der Abgangsbearbeitung zugeführt. In der Halle sind ca. 650 Beschäftigte tätig; täglich werden ca. 2,5 bis 3 Mio. Briefsendungen umgeschlagen. Die Arbeitgeberin hat Verluste und Inhaltsschmälerungen von Briefsendungen festgestellt und die Einrichtung einer Videoüberwachung vorgeschlagen.

Die diesbezüglich eingerichtete Einigungsstelle fasste am 26. November 2001 mehrheitlich einen Spruch, mit dem Regelungen zu einer Einführung und Anwendung einer Videoanlage getroffen worden sind. Diese Regelungen beinhalten unter anderem

  • die Benennung des Regelungszwecks, nämlich dass die Videoanlage Sendungsverluste sowie Inhaltsschmälerungen vermindern soll,
  • dass die Videoanlage ausschließlich zur Vorbeugung und Aufklärung von Straftaten betrieben werden soll,
  • dass jede Nutzung der Anlage oder Teilen von ihr zu anderen Zwecken als in dem Spruch beschrieben untersagt ist,
  • dass jede Leistungs- und/oder Verhaltenskontrolle über den Rahmen der Zweckbestimmung hinaus ausgeschlossen ist,
  • dass die Verwendung von Erkenntnissen für arbeitsorganisatorische Maßnahmen ausgeschlossen ist,
  • dass die Videoanlage durch eine Fachfirma so installiert wird, dass die gewonnenen Daten gegen den Zugriff Unbefugter geschützt sind,
  • dass der Betrieb der Videoanlage von einem Raum aus erfolgt, der mit einem Schnappschloss verschlossen und so gesichert ist, dass er von Unbefugten nicht geöffnet werden kann,
  • dass die Bedienungselemente der Videoanlage in einem Schrank unterzubringen sind, der nur mit zwei Schlüsseln geöffnet werden kann, von denen einer der Arbeitgeberin, ein anderer dem Betriebsrat zur Verfügung steht,
  • dass Tonaufnahmen unzulässig sind,
  • dass eine Verknüpfung mit anderen IT-Systemen nicht stattfindet,
  • dass aufzeichnungs-, beobachtungs- und auswertungsbefugt grundsätzlich nur Mitarbeiter aus dem Securitybereich sind,
  • dass der Betriebsrat berechtigt ist, mit jeweils einem seiner Mitglieder an der Aufzeichnung, Beobachtung, Auswertung beteiligt zu sein,
  • dass der Arbeitgeber die Videoanlage in jeder Kalenderwoche bis zu 50 Stunden in Betrieb nehmen kann,
  • dass die Videoanlage für bis zu 48 Stunden ohne Anrechnung auf das Kontingent in Betrieb gesetzt werden kann, wenn ein begründeter Anfangsverdacht vorliegt,
  • dass der Betriebsrat berechtigt ist, sich beim Betrieb der Video-anlage einschließlich aller Zwischenbedienungen mit jeweils einem seiner Mitglieder zu beteiligen,
  • dass dann, wenn die Niederlassungsleitung wegen der gewonnenen Erkenntnisse arbeits- oder dienstrechtliche Maßnahmen beabsichtigt, der Betriebsrat vor der Einleitung weiterer Schritte zu informieren ist,
  • dass Beweismaterial, das unter Verstoß gegen diesen Spruch erlangt wird, nicht verwendet werden darf,
  • dass die Aufbewahrung der Videobänder so zu erfolgen hat, dass jeder Zugriff Unbefugter ausgeschlossen ist,
  • dass Videoaufzeichnungen sofort, spätestens acht Wochen nach Herstellung gelöscht werden, wenn sie zur Beweissicherung nicht mehr benötigt werden,
  • dass die Bestimmungen des Datenschutzes von diesem Spruch unberührt bleiben,
  • dass der Betriebsrat das Recht hat, die Einhaltung des Spruchs zu kontrollieren, und dass dazu ein jederzeitiges Zutrittsrecht besteht,
  • dass vor dem erstmaligen Betriebsbeginn die Beschäftigten vom Arbeitgeber über Hintergründe und Inhalt des Spruches und die Funktionsweise der Videoanlage zu informieren sind,
  • dass neu eingestellte Kräfte ein vom Arbeitgeber verfasstes In formationsblatt ausgehändigt erhalten,
  • dass im Ein- und Zugangsbereich der Niederlassung durch gut sichtbare Beschilderung auf den Einsatz von Videokameras hingewiesen wird.

Der Betriebsrat hat diesen Spruch mit einer beim Gericht am 10. Dezember 2001 eing...

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