Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung bei der Entgelterhöhung nach Einführung neuer Arbeitsverträge. Zahlungsklage eines Arbeitnehmers mit Altvertrag bei sachgrundloser Benachteiligung

 

Leitsatz (amtlich)

Unterscheiden sich die Arbeitsvertragsbedingungen zweier in einem Betrieb beschäftigter Arbeitnehmergruppen nicht nur in Vergütungselementen, sondern auch in weiteren Arbeitsbedingungen (zB. Kündigungsfristenregelung), ist zur Beantwortung der Frage, ob eine nur der einen Arbeitnehmergruppe gewährte Entgelterhöhung dem Ausgleich einer Besserstellung der anderen Arbeitnehmergruppe dient und deshalb mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist, auf die zum Günstigkeitsprinzip entwickelten Grundsätze zurückzugreifen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 242, 611 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 13.03.2012; Aktenzeichen 15 Ca 8436/11)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.03.2012 - 15 Ca 8436/11 - abgeändert.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über die diesem durch das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.03.2012 - 15 Ca 8436/11 - bereits zuerkannten 948,00 EUR brutto nebst Zinsen hinaus weitere 1.116,70 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 139,58 EUR seit 01.06.2011, aus weiteren 139,58 EUR seit 01.07.2011, aus weiteren 139,59 EUR seit 01.08.2011, aus weiteren 139,59 EUR seit 01.09.2011, aus weiteren 139,59 EUR seit 01.10.2011, aus weiteren 139,59 EUR seit 01.11.2011, aus weiteren 139,59 EUR seit 01.12.2011 und aus weiteren 139,59 EUR seit 01.01.2012 zu zahlen.

  • II.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.03.2012 - 15 Ca 8436/11 - wird zurückgewiesen.

  • III.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • IV.

    Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung weitere Vergütungszahlungen für den Zeitraum von Mai bis Dezember 2011 zustehen.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Verlagsauslieferung. Sie beschäftigt ungefähr 600 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Der am XX. Mai 19XX geborene Kläger ist bei ihr seit dem 1. Februar 1991 als Programmierer mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Die monatliche Bruttovergütung des Klägers setzt sich aus einem Tarifgehalt in Höhe von 2.908,00 EUR und einer freiwilligen Zulage in Höhe von 1.126,00 EUR zusammen. Des Weiteren erhält er jährlich eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 1.599,40 EUR und ein tarifliches Urlaubsgeld in Höhe von 567,53 EUR.

Im schriftlichen Arbeitsvertrag des Klägers ist folgende Regelung enthalten:

"Für das Arbeitsverhältnis gelten die für unsere Firma maßgebenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in der jeweiligen Fassung."

Die Beklagte war bis zum 31. März 2006 ordentliches Mitglied im Verband für Dienstleistung, Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg e. V.. Zum 1. April 2006 wechselte sie in die sogenannte OT-Mitgliedschaft. Ebenfalls zum 31. März 2006 wurde der Manteltarifvertrag Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg vom 11. Juni 1997 (künftig: MTV) von der Arbeitgeberseite gekündigt. Der Gehaltstarifvertrag Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg vom 9. Juli 2005 wurde zum 31. März 2007 gekündigt.

Im Zusammenhang mit ihrem Wechsel in die OT-Mitgliedschaft bot die Beklagte im Jahr 2006 ihren Mitarbeitern eine Ergänzung zum Arbeitsvertrag an, wonach sich bei ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden auf 40 Stunden erhöhen sollte. 96% der Arbeitnehmer nahmen dieses Angebot an, der Kläger und einige seiner Kollegen (künftig: Altvertragsarbeitnehmer) nicht.

Im Jahr 2007 gewährte die Beklagte ihren Mitarbeitern keine generelle Entgelterhöhung. Unter dem Datum 25. März 2008 schloss sie mit ihrem Betriebsrat diverse Betriebsvereinbarungen, die die Regelungen des MTV ablösen sollten (u.a. BV Nr. 3/2008 zur Bestimmung und Behandlung des Entgelts und des Entgeltgruppenplans [Bl. 121 bis 125 der Arbeitsgerichtsakte] und BV Nr. 1/2008 über die Arbeitszeit bei Vollzeitmitarbeitern/innen [Bl. 113 bis 117 der Arbeitsgerichtsakte]). Die benannten Betriebsvereinbarungen nehmen Mitarbeiter, bei denen individualrechtlich diesen Betriebsvereinbarungen entgegenstehende tarifliche Regelungen gelten, von ihrem Geltungsbereich aus.

In Ziff. 4 der BV 3/2008 ist unter der Überschrift "Erhöhungen in den Entgeltgruppen" u.a. geregelt:

"Entgelterhöhungen werden durch den Arbeitgeber festgelegt. Ein festgelegter Prozentsatz wird auf das Basisentgelt (= Untergrenze) der jeweiligen Entgeltgruppe gewährt. Diesen Erhöhungsbetrag erhalten alle Mitarbeiter in der Entgeltgruppe. Abweichende Individualvereinbarungen gehen vor.

Für alle Mitarbeiter, die vor dem 01.04.2006 in das Unternehmen eintraten, gilt ein Bestandsschutz. Basisentgelt für diese Mitarbeiter ist deren ind...

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