Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersabhängiger tariflicher Sonderkündigungsschutz. Diskriminierungsverbot. Gleichbehandlungsgrundsatz

 

Leitsatz (redaktionell)

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz berechtigt nicht den Arbeitgeber, dem begünstigten Arbeitnehmer den vertraglich eingeräumten Vorteil unter Hinweis darauf zu entziehen, andere Arbeitnehmer erhielten einen solchen nicht. Der Arbeitgeber kann deswegen nicht wegen einer möglichen Benachteiligung anderer Arbeitnehmer aus einem des in § 1 AGG angeführten Merkmal, dem begünstigten Arbeitnehmer altersabhängigen tariflichen Sonderkündigungsschutz entziehen.

 

Normenkette

MTV Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden § 4.4; RL 2000/78/EG § 6.1; AGG §§ 1, 7 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 13.09.2006; Aktenzeichen 19 Ca 14167/04)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.09.2006 – Aktenzeichen 19 Ca 14167/04 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher betriebsbedingter Kündigungen seitens der Berufung führenden Beklagten mit Auslauffrist sowie Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugsvergütung.

Der am 01.05.1951 geborene Kläger ist seit dem 19.01.1977 als Entwicklungsingenieur bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Metallindustrie Nordwürttemberg/ Nordbaden (im folgenden kurz: MTV) Anwendung. Aufgrund seines Alters und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit im Unternehmen der Beklagten ist der Kläger damit ordentlich unkündbar (§ 4.4 MTV).

Mit Schreiben vom 09.12.2004 und 21.03.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betrieblichen Gründen außerordentlich unter Einhaltung einer 6-monatigen Auslauffrist zum Quartalsende. Hiergegen hat der Kläger am 23.12.2004 bzw. am 04.04.2005 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Stuttgart erhoben.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Kündigungen angeführt, der Arbeitsplatz des Klägers sei entfallen, nachdem die betriebliche Organisationsentscheidung getroffen worden sei, die von ihm bearbeiteten Projektpläne nicht mehr von einer übergeordneten Funktion, sondern von den Projektleitern in den einzelnen Hauptabteilungen selbst erstellen zu lassen. Die Möglichkeit, den Kläger auf einem anderen Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen, bestehe nicht, die mit ihm im Rahmen der Sozialauswahl vergleichbaren Arbeitnehmer K. und C. seien wesentlich schutzwürdiger.

Der Kläger hält die umstrittenen Kündigungen für rechtsunwirksam. Er ist der Auffassung, dass er in vielen Bereichen im Unternehmen der Beklagten weiterbeschäftigt werden könne. So sei er 27 Jahre lang für diese beschäftigt gewesen, annähernd 20 Jahre davon als Entwicklungsingenieur in dem Bereich Entwicklung Hardware. Es sei nicht einsichtig, wenn die Beklagte nunmehr behauptet, er sei lediglich als „Planungsreferent” einsetzbar und auch nur mit Planungsreferenten vergleichbar, nachdem er 26 Jahre lang unbeanstandet als Entwicklungsingenieur für sie in verschiedenen Bereichen tätig gewesen sei. Des Weiteren sei die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl fehlerhaft. In der 21 Personen umfassenden Vergleichsgruppe „Planungsreferent kaufmännisch/technisch” seien mindestens 3 Mitarbeiter enthalten, die ebenfalls als Planungsreferenten für die Beklagte tätig gewesen und die nach seiner Meinung weniger schutzwürdig seien.

Am 06.09.2005 hat der Kläger zudem Zahlungsklage erhoben, mit welcher er Annahmeverzugsvergütung ab 01.07.2006 geltend macht. Die von ihm geltend gemachten Beträge sind rechnerisch unstreitig.

Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 09.12.2004 noch durch die Kündigung vom 21.03.2005 aufgelöst worden ist.
  2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet wird, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 30.06.2005 hinaus fortbesteht.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 60.125,52 brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 18.578,00 für die Zeit von Juli 2005 bis Juni 2006 zu bezahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie geht von der Wirksamkeit der umstrittenen Kündigungen aus. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe nicht, dieser sei aufgrund seiner Vorbeschäftigung nicht in der Lage, sämtliche Aufgaben eines Entwicklungsingenieurs wahrzunehmen. Er habe darüber hinaus nicht substantiiert vorgetragen, wo und wie er sich eine Weiterbeschäftigung vorstelle. Auch die von ihr vorgenommene Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden, da keiner der vom Kläger benannten Arbeitskollegen mit ihm vergleichbar sei.

Das Arbeitgericht hat mit seinem, den Beklagtenvertretern am 21.09.2...

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