Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutwillige Rechtsverfolgung i.S.d § 114 Abs. 2 ZPO. Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts als Klagegrund. Keine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung bei Klagehäufung mit Kündigungsschutzantrag und Antrag auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist einer nicht bemittelten Partei nicht zumutbar, die mit einer unberechtigten Abmahnung verbundene Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts hinzunehmen bis ein Kündigungsschutzprozess beendet ist, in welchem möglicherweise die Berechtigung der Abmahnung inzidenter geprüft werden könnte. Ein Antrag auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte neben der Kündigungsschutzklage ist deshalb nicht mutwillig. Abweichung von LAG Hamm 22. Oktober 2009 - 14 Ta 85/09 - und LAG Köln vom 14. November 2017 - 9 Ta 180/17 -)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 114 Abs. 2 ZPO ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

2. Mit dem Antrag auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte macht der Antragsteller die Beseitigung einer Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts geltend. Dies kann nicht als mutwillig angesehen werden.

 

Normenkette

ZPO § 114; GewO § 109

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Entscheidung vom 23.05.2023; Aktenzeichen 3 Ca 164/23)

 

Tenor

  1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom 23. Mai 2023 (3 Ca 164/23) teilweise abgeändert:

    Der Klägerin wird über die Prozesskostenhilfebewilligung gemäß Beschluss vom 23. Mai 2023 hinaus zusätzlich Prozesskostenhilfe bewilligt für die Anträge zu 5 und 6 der Klageschrift vom 8. Mai 2023 zu den im Beschluss vom 23. Mai 2023 festgesetzten Bedingungen.

  2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
  3. Die Gebühr gemäß Nr. 8614 KV-GKG wird auf die Hälfte reduziert.
  4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Klägerin richtet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die teilweise Versagung von Prozesskostenhilfe.

Mit Klageschrift vom 8. Mai 2023 wehrte sich die Klägerin im Rahmen einer Kündigungsschutzklage (Antrag zu 1) und einer allgemeinen Feststellungsklage (Antrag zu 2) gegen die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 19. April 2023. Mit den Anträgen zu 3 und 4 begehrte sie die Erteilung eines Zwischenzeugnisses, hilfsweise Endzeugnisses. Mit den Anträgen zu 5 und 6 begehrte sie die Entfernung von Abmahnungen vom 14. März 2023 und 16. März 2023 aus ihrer Personalakte.

Auf der Grundlage übereinstimmender Vergleichsvorschläge der Parteien vom 23. März 2023 wurde der Rechtsstreit mit Vergleichsfeststellungsbeschluss vom 24. März 2023 beendet.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2023 bewilligte das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für die Anträge zu 1 und 2. Es ordnete eine Ratenzahlung in Höhe von monatlich 121,00 Euro an. Im Übrigen wies das Arbeitsgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurück.

Das Arbeitsgericht hielt die Anträge auf Entfernung der Abmahnungen für mutwillig. Den Zeugnisanträgen sprach es eine hinreichende Erfolgsaussicht ab.

Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 23. Mai 2023 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde, die am 31. Mai 2023 beim Arbeitsgericht einging. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 27. Juni 2023 nicht ab.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.

II.a

Der Klägerin ist auch Prozesskostenhilfe zu bewilligen für die Rechtsverfolgung gemäß den Anträgen zu 5 und 6 (Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte). Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts war die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin nicht mutwillig.

1. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung nur bewilligt werden, wenn diese hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Gemäß § 114 Abs. 2 ZPO ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Die Prozesskostenhilfe soll somit einer mittellosen Partei ermöglichen, ihre Rechte genauso gerichtlich zu verfolgen, wie es einer finanziell besser gestellten Partei möglich ist. Ziel ist eine weitgehende Angleichung der Situation von finanziell Leistungsfähigen und weniger Leistungsfähigen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfG 29. September 2015 - 1 BvR 1125/14 -). Eine hilfsbedürftige Partei darf sich jedoch prozessual nicht anders verhalten, als es eine vermögende Part...

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