Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstellung eines Arbeitnehmers i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG. Eingliederung eines Arbeitnehmers in einen Betrieb. Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einem Betrieb. Tätigkeit des Arbeitnehmers für mehrere Betriebe eines Unternehmens. Rechtsprobleme bei betriebsverfassungsrechtlicher Mehrfachzuordnung eines Arbeitnehmers zu mehreren Betrieben. Rechtsdogmatische Bedenken gegen Mehrfachzuordnungen von Arbeitnehmern zu mehreren Betrieben eines Unternehmens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bestehen in einem Unternehmen mehrere Betriebe und ist ein Arbeitnehmer in einen dieser Betriebe eingegliedert, löst nicht schon eine Vor- oder Zuarbeit dieses Arbeitnehmers für den arbeitstechnischen Zweck eines anderen Betriebs die zusätzliche Eingliederung dieses Arbeitnehmers in den anderen Betrieb aus. Erforderlich für die zusätzliche Eingliederung in den anderen Betrieb ist vielmehr eine regelmäßige Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern dieses anderen Betriebs (Anschluss an BAG 14.06.2022 - 1 ABR 13/21).

2. Die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung eines Arbeitnehmers ist im Falle mehrerer Betriebe eines Unternehmens zwar nicht auf den Betrieb beschränkt, in dem der Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers liegt. Jedoch bewirken Arbeiten eines Arbeitnehmers für einen weiteren Betrieb nicht bereits seine zusätzliche Eingliederung in diesen weiteren Betrieb, wenn diese Arbeiten seine Tätigkeit nur in einem Randaspekt gestalten. Die durch eine betriebsverfassungsrechtliche Mehrfachzuordnung entstehenden hochkomplizierten betriebsverfassungsrechtlichen Folgeprobleme führen zu einer Erschwerung der Anwendung des Betriebsverfassungsrechts, der in solchen Konstellationen kein beachtlicher Vorteil gegenüberstünde.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist gegeben, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber mit Hilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt.

2. Es gibt keinen Grund, eine Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes zu befürworten, die die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsräten erschwert, ohne dass dies durch eine Stärkung der vom Betriebsverfassungsrecht verfolgten Ziele angemessen aufgewogen würde. Die Betriebsverfassung kann letztlich nur funktionieren und überzeugen, wenn sie verständlich und handhabbar für alle Beteiligten ist und diese sich nicht in sinnfreien Verästelungen der Rechtslage verlieren.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, §§ 100, 101 S. 1, § 3

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 07.12.2021; Aktenzeichen 25 BV 58/21)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde des zu 1 beteiligten Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 07.12.2021 - 25 BV 58/21 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A.

Der antragstellende Betriebsrat erstrebt die Aufhebung einer personellen Einzelmaßnahme, die seiner Ansicht nach die Einstellung eines Mitarbeiters in den Betrieb darstellt, für den er gewählt ist. Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist im Gegensatz dazu der Auffassung, dass dieser Mitarbeiter ausschließlich in einen anderen Betrieb ihres Unternehmens eingestellt worden sei.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin (künftig: Arbeitgeberin) ist ein Konzernunternehmen der DPD Group und erbringt Express- und Kurierdienstleistungen. Sie unterhält operative Standorte im gesamten Bundesgebiet und hat ihren Sitz in B.

Die Arbeitgeberin hat mit der ver.di-Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft einen Zuordnungstarifvertrag gem. § 3 BetrVG geschlossen. Dieser datiert vom 21.12.2004 und liegt im vorliegenden Verfahren in der Fassung des Tarifvertrags Nr. 16 vom 06.12.2007 auszugsweise vor (Anl. ASt 2, Bl. 106 bis 109 ArbG-Akte, künftig: TV). Gem. § 2 TV sind ein Spartenbetriebsrat für die Sparte "Vertrieb" sowie zahlreiche regionale Betriebsräte gebildet, die für die operativen Standorte zuständig sind. Am Sitz der Arbeitgeberin in B existiert zudem der Betrieb Zentrale, für den ebenfalls ein Betriebsrat gewählt wurde.

Der Betrieb, für den der antragstellende Betriebsrat zuständig ist, heißt gem. § 2 Abs. 1 TV "Niederlassung Betrieb EXPRESS S", wird umgangssprachlich aber auch anders bezeichnet, unter anderem als "Betriebsrat der Area S". Er wird im Folgenden als "Betrieb S" und der zugehörige antragstellende Betriebsrat als "Betriebsrat S" bezeichnet.

Zu dem Betrieb S gehören gemäß Zuordnungstarifvertrag aktuell die Betriebstätten S, H und N-U. Im Betrieb S werden die Sendungen an- und ausgeliefert sowie umgeschlagen. Rein örtlich sind in S allerdings nicht nur damit befasste Mitarbeiter tätig, sondern auch Mitarbeiter aus der Sparte Vertrieb und Security-Mitarbeiter sowie - teilweise - der Mitarbeiter im Bereich IT Herr H, um dessen Einstellung es im vorliegenden Verfahren...

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