Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung des auflösend bedingten Arbeitsverhältnisses bei fehlenden Anstrengungen der Arbeitnehmerin zur Beseitigung der Tatbestandwirkung eines nicht bestandskräftigen Rentenbescheids über die Bewilligung einer unbefristeten vollen Erwerbsminderungsrente

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Tatbestandswirkung eines noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakts, der nicht sofort vollziehbar ist, im Rahmen eines Rechtsstreits vor den Arbeitsgerichten.

2. Anforderungen an die Bemühungen des Arbeitnehmers zur Beseitigung eines noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakts während des Laufs einer von ihm erhobenen Bedingungskontrollklage.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Gerichte aller Gerichtszweige sind an das Bestehen und den Inhalt von wirksamen Verwaltungsakten gebunden, soweit ihnen nicht die Kontrollkompetenz eingeräumt ist (Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten); das gilt auch dann, wenn ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

2. Die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten entfällt nur, wenn ein Verwaltungsakt nichtig ist.

3. Jedenfalls in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt die Folge eines Antrags an eine Behörde auf Entscheidung über diesen Antrag darstellt, entfällt die Tatbestandswirkung nicht dadurch, dass der ergangene Verwaltungsakt (noch) nicht bestandskräftig ist; allein die Tatsache, dass eine Bestandskraft zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vorliegt, lässt den Verwaltungsakt und dessen Inhalt als solchen nicht entfallen.

4. Ist ein Rentenbescheid weder zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht noch bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht beseitigt, ist dessen Tatbestandswirkung für das Berufungsgericht bindend.

5. Gemäß den §§ 21, 17 Satz 2 TzBfG, 6 KSchG muss die Arbeitnehmerin zumindest bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht (und im Falle einer fehlenden Belehrung über § 6 KSchG durch das Arbeitsgericht bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als Tatsachengericht) die ihr obliegenden Maßnahmen ergreifen, um den Bescheid über die Bewilligung einer unbefristeten vollen Erwerbsminderungsrente (als Voraussetzung für das Vorliegen einer das Arbeitsverhältnis auflösenden Bedingung) zu beseitigen.

6. Hat die Arbeitnehmerin zu keinem Zeitpunkte ihren Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente zurückgenommen oder auf die Erteilung einer nur befristeten Rente eingeschränkt, und hat sie weder in ihrem Widerspruch noch im Klageverfahren den Rentenbescheid insoweit angefochten, als er ihr eine unbefristete Rente gewährt, und nimmt sie laufend Rentenzahlungen aus dem von ihr angegriffenen Rentenbescheid einschränkungslos entgegen und ruht ihr sozialgerichtliches Verfahren, das sie gegen den Rentenbescheid angestrengt hat, genügt allein die Tatsache, dass sie sich im Hinblick auf ihre sozialversicherungsrechtliche Dispositionsbefugnis darauf beruft, sich im Rahmen des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht alle Optionen offen zu halten, nicht, um den Eintritt einer das Arbeitsverhältnis auflösenden Bedingung zu hindern; wegen § 6 KSchG ist sie gehalten, ihre sozialrechtliche Dispositionsbefugnis im Hinblick auf die Möglichkeit des Eintritts einer auflösenden Bedingung bis zum Ablauf der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht (und gegebenenfalls bis zu der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als Tatsachengericht) tatsächlich auszuüben und klarzustellen, inwieweit sie ihren Antrag auf Erwerbsminderungsrente aufrecht erhalten und/oder sie den ergangenen Rentenbescheid anfechten will.

 

Normenkette

TzBfG §§ 21, 17 S. 1, § 15 Abs. 2; KSchG § 6; VwGO § 80 Abs. 1-2; VwVfG § 43 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 16.04.2014; Aktenzeichen 1 Ca 4638/13)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 16.04.2014 - Az: 1 Ca 4638/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch Eintritt einer auflösenden Bedingung im Hinblick auf den Bezug einer unbefristeten vollen Erwerbsminderungsrente durch die Klägerin zum 11. Juli 2013 geendet hat oder nicht.

Hinsichtlich des unstreitigen und des erstinstanzlich streitigen Vorbringens der Parteien wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gem. § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG auf den ausführlichen, zutreffenden und nicht gem. § 320 Abs. 1 ZPO angegriffenen Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts vom 16. April 2014 (Seiten 2 bis 4, Bl. 215 bis 217 der Akten-ArbG) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat den von der Klägerin zuletzt gestellten Antrag,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung nicht zum 11. Juli 2013 beendet wurde,

vollumfänglich abgewiesen und ist insoweit dem Klagabweisungsantrag der Beklagten gefolgt.

Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, maßgebend für die...

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