Leitsatz (amtlich)

Der Führer eines Sattelzuges, an dessen Heck sich eine gelbe Rundleuchte sowie ein Warnschild ("Achtung, Anhänger schwenkt aus") befindet, darf nicht darauf vertrauen, dass dies andere Verkehrsteilnehmer so hinreichend warnt, dass er von den Sorgfaltspflichten beim Abbiegen nach rechts aus § 9 Abs. 1 StVO befreit wäre.

Kommt es beim Abbiegen nach rechts durch einen derartigen Sattelzug zu einer Kollision mit einem links daneben befindlichen Pkw, der in nicht ausreichendem Seitenabstand von hinten neben den Sattelzug gefahren ist, so kommt eine Haftungsverteilung von 1/4 zu ≪ zu Lasten des Führers des Sattelzuges in Betracht, der den links neben seinem Fahrzeug befindlichen Pkw bei ordnungsgemäßer Rückschau hätte erkennen können.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 08.01.2001; Aktenzeichen 24 O 66/00)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8.1.2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 66/00 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.875,51 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 10.8.2000 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Beklagten 3/4 und der Kläger 1/4 zu tragen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils: Die Beklagten haften dem Kläger nach einer Quote von 3/4 für die in unstreitiger Höhe entstandenen materiellen Schäden an seinem Mercedes 400 (HEI-...) aus den Unfall vom 10.11.1998, denn der Fahrer U.S. des vom Beklagten zu 1) gehaltenen und und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Lkw (OB-...) hat den Unfall in diesem Umfang verschuldet.

Der Kläger muss sich allerdings ein Mitverschulden von 1/4 anrechnen lassen, denn der Fahrer des Klägerfahrzeuges, L.R., hat diesen Wagen pflichtwidrig zu nah neben den stehenden Lkw gestellt und dadurch die Voraussetzung für die spätere Kollision geschaffen.

A. Beruht ein Unfall für keinen der Beteiligten auf einem unabwendbaren Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 S. 1 StVG, bestimmt sich die Haftung nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Beteiligten, §§ 17, 18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Bei der Bildung der Haftungsquote werden allerdings nur bewiesene Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.

B. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich im vorliegenden Fall die genannte Haftungsquote.

I. Keine der Parteien hat dargelegt, dass für sie der Zusammenstoß am 10.11.1998 ein unabwendbares Ereignis war, so dass es auf die Verursachungs- und Verschuldensanteile der Beteiligten ankommt.

1. Unabwendbar mit der Folge eines Haftungsausschlusses nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein unfallursächliches Ereignis, wenn es durch äußertes Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, also die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG, Rz. 30 m.w.N.).

2. Eine derartige Unabwendbarkeit hat insbes. der Kläger nicht dargelegt. Seine Ausführungen dazu, der Mercedes sei so von anderen Fahrzeugen umgeben gewesen, dass er dem ausscherenden Anhänger des Lkw nicht mehr habe ausweichen können, betreffen die Lage nach dem Stillstand des Mercedes neben dem Lkw und nicht die für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten entscheidende Frage, ob der Fahrer L.R. bei Heranfahren und Anhalten neben dem Lkw den gebotenen Abstand eingehalten hat: Dass er sich hierbei die überdurchschnittliche Vorsicht eines "Idealfahrers" eingehalten hat, hat der Kläger nicht behauptet.

II. Eine Haftung der Beklagten für den Unfallschaden ergibt sich aus den §§ 7, 17 StVG, 823 BGB i.V.m. § 3 PflVG.

1. Entgegen der Auffassung des LG war der Kläger zum Unfallzeitpunkt Eigentümer des Mercedes und ist als solcher zur Geltendmachung von Unfallschäden aktivlegitimiert. Anhand von Ablichtungen des Kaufvertrages vom 5.11.1998 und der dazugehörigen Mitteilung an die Kfz-Zulassungsstelle vom gleichen Tag hat der Kläger seinen Eigentumserwerb hinreichend dargelegt. Die Beklagten haben dem keine gleichwertigen Darlegungen entgegengesetzt.

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs oder einer Rechtsverteidigung ist schlüssig und damit erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die i.V.m. einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind (BGH v. 23.4.1991 - X ZR 77/89, MDR 1992, 76 = NJW 1991, 2707 [2709]; vom 14.6.1996 - V ZR 150/95, NJW-RR 1996, 1402; vom 13.7.1998 - II ZR 131/97, MDR 1998, 1177 = AG 1998, 519 = NJW-RR 1998, 1409; vom 25.11.1998 - VIII ZR 345/97, NJW-RR 1999, 360; vom 17.9.1998 - II...

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