Leitsatz (amtlich)

Der Führer eines Kraftfahrzeuges, welches aufgrund seiner Bauart beim Abbiegen nach links in den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen ausschwenkt (hier: 17 m langer Sattelzug mit am Heck des Aufliegers um 2 m ausgezogener Ladebrücke), trifft ggü. den diesen Fahrstreifen benutzenden Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Sorgfaltspflicht.

Der Führer eines derartigen Kraftfahrzeuges, der sich im linken Fahrstreifen eingeordnet hat, muss das Abbiegen nach links solange zurückstellen bis er sicher sein kann, dass er keinen im rechts daneben befindlichen, nachfolgenden Verkehrsteilnehmer gefährdet oder schädigt.

Ist die Zugmaschine des Sattelzuges in Bereich einer weiträumigen, ampelgeregelten Kreuzung mit Grünpfeil bereits in der Weise nach links eingeschwenkt, dass der Fahrer den rechts nachfolgenden Verkehr nicht mehr beobachten kann, muss er das weitere Abbiegen nach links bis zum Aufleuchten des grünen Linksabbiegepfeils zurückstellen, da er erst dann sicher sein kann, dass keine Fahrzeuge mehr rechts am Sattelzug vorbeifahren.

Befolgt der Fahrer des Sattelzuges diese Grundsätze nicht und kommt es beim Abbiegen nach links infolge Ausschwenkens des Hecks in den mittleren Fahrstreifen zu einer Kollision mit einem rechts am Sattelzug vorbeifahrenden Fahrzeug, so trägt der Eigentümer des Sattelzuges seien Schaden selbst.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 30.09.2002; Aktenzeichen 24 O 36/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.9.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 36/01 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Aufgrund der Feststellungen des LG ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der ca. 17 Meter lange Sattelzug des Klägers, dessen letzte Achse über eine Zwangs-Mitlenkung verfügt, ist von der Linksabbiegerspur kommend, zunächst in den Kreuzungsbereich der ampelgeregelten Kreuzung eingefahren, um nach links abzubiegen. Eine am Heck des Aufliegers befindliche Ladebrücke war um 2 Meter ausgezogen, die Ladung überragte diese Brücke um 0,8 Meter. Im Bereich der Kreuzung hielt er, um den Gegenverkehr passieren zu lassen, an dem ortsüblichen Haltepunkt an. Während das klägerische Fahrzeug dort hielt, fuhren mehrere vor dem Beklagtenfahrzeug auf dem mittleren Fahrstreifen fahrende Fahrzeuge, u.a. ein Lkw und ein BVG-Bus, rechts an dem klägerischen Fahrzeug vorbei. Erst als sich das mit 30 km/h fahrende Beklagtenfahrzeug, ein ca. 8,5 Meter langen Lkw mit einem ca. 8 Meter langen Anhänger, dem Heck des klägerischen Sattelaufliegers bis auf 15 Meter genähert hatte, setzte das klägerische Fahrzeug seinen Linksabbiegevorgang fort, wobei das Heck des Sattelaufliegers in den mittleren Fahrstreifen hineinschwenkte und den Anhänger des Beklagtenfahrzeugs berührte.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg.

Die Klage ist abzuweisen, weil der Kläger den Unfallschaden in vollem Umfang selbst zu tragen hat.

a) Zutreffend geht das LG auf S. 7 der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass der klägerische Fahrer sich verkehrswidrig verhalten hat und er den Unfall hätte verhindern können. Er hat nicht die nach § 9 StVO unter besonderer Berücksichtigung der Bauart des Lkw gebotene Vorsorge für ein sicheres Abbiegen nach links getroffen und hierdurch den Unfall verursacht.

Aufgrund dieser ihm obliegende Vorsorgepflicht hat der Abbieger sicherzustellen, dass eine Gefährdung (auch) des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. In besonderer Weise gilt diese Verpflichtung für Fahrer von Fahrzeugen, deren Heck bauartbedingt beim Linksabbiegen nach rechts ausschwenken und so den Verkehr auf dem benachbarten Fahrstreifen gefährden können (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 9 StVO Rz. 27, 25). Das OLG Stuttgart führt in einem Urteil vom 18.2.1974 (OLG Stuttgart, Urt. v. 18.2.1974 - 3 Ss 696/73, DAR 1974, 163) hierzu aus: "Den Führer eines Sattelzuges, dessen Ladung hinten über das Ende der Ladefläche hinausragt, trifft beim Abbiegen nach links ggü. nachfolgenden Verkehrsteilnehmern insbes. dann eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wenn die Ladung während des Abbiegevorgangs in die rechts nebenan befindliche Fahrspur für Geradeausfahrende oder Rechtsabbieger ausschwenkt. Notfalls muss er einen Warnposten aufstellen." Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.

Hinzu kommt, dass der klägerische Fahrer, nachdem er im Kreuzungsbereich angehalten hatte, den Abbiegevorgang fortsetze, obwohl im mittleren Fahrstreifen Fahrzeuge fuhren. Zwar konnte der klägerische Fahrer diese Fahrzeuge aufgrund der Schrägstellung seiner Zugmaschine nicht sehen, ihm musste aber aufgrund der Fahrzeuge, die bereits rechts an ihm vorbeigefahren waren, bewusst sein, dass mit weiteren Fahrzeugen im mittleren Fahrstreifen zu rechnen war. Er hätte deshalb - unabhängig vom Vorhandensein von Gegenverkehr - mit seinem Abbiegevorgang bis zum Aufleuchten des Linksabbiegepf...

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