Entscheidungsstichwort (Thema)

Essensausfahrer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelungen zur arbeitgeberseitigen Pflicht zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. § 2 SGB IV) und Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns (vgl. §§ 1, 3 MiLoG) sind keine Marktverhaltensvorschriften i. S. von § 3a UWG (Fortführung von BGH GRUR 2017, 95 - Arbeitnehmerüberlassung).

 

Normenkette

UWG § 3a

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 01.06.2016; Aktenzeichen 97 O 57/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil der Kammer für Handelssachen 97 des LG Berlin vom 1.6.2016 - 97 O 57/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

Gründe

A. Von der Wiedergabe eines Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V. mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B. Die Berufung der Antragstellerin ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden und auch sonst zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Die haupt- und hilfsweise geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus §§ 8, 3 Abs. 1, § 3a UWG bestehen nicht.

I. Mit dem LG meint auch der Senat zum Hauptantrag, dass ein insoweit nach Auffassung der Antragstellerin vorliegender Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 2 SGB IV keinen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 8, 3 Abs. 1, § 3a UWG auslöst, weil die Voraussetzungen der zuletzt genannten Vorschrift nicht (jedenfalls nicht vollumfänglich) erfüllt sind.

1. Allerdings steht, anders als die Berufungserwiderung meint, einer Anwendung von § 3a UWG i. V. mit § 2 SGB IV nicht entgegen, dass die zuletzt genannte Vorschrift keine Grundlage im Unionsrecht hat.

a) Zwar ist es so, dass im Anwendungsbereich der UGP-RL ein Verstoß gegen eine nationale Marktverhaltensregel die Unlauterkeit nach § 3a UWG nur dann begründet, wenn diese nationale Bestimmung eine unionsrechtliche Grundlage hat (BGH GRUR 2016, 516, Rn. 13 - Wir helfen im Trauerfall).

b) Der Anwendungsbereich der UGP-RL ist vorliegend aber nicht eröffnet. Denn diese gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 nur für unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern. Und Verbraucher ist, wie sich aus Art. 2 Buchst. a UGP-RL ergibt, diejenige natürliche Person nicht, die im Geschäftsverkehr zu Zwecken handelt, die ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Die von der Antragstellerin aus § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1 SGB IV hergeleitete Pflicht von Unternehmern zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen besteht - soweit für den Streitfall relevant - hinsichtlich Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Diese Personen handeln also im Geschäftsverkehr zu Zwecken, die ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, und sind sonach keine Verbraucher i.S. der UGP-RL, worauf sich aber allein deren Anwendungsbereich erstreckt.

2. Die Annahme unlauteren Handelns i. S. von § 3a UWG setzt unter anderem voraus, dass einer gesetzlichen Vorschrift zuwidergehandelt wird, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Daran fehlt es. Die Vorschrift des § 2 SGB IV und die daraus folgende Pflicht zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen ist nicht dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

a) Eine Norm regelt das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer, wenn sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweist, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird. Nicht erforderlich ist eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt. Die Vorschrift muss jedoch - zumindest auch - den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (BGH GRUR 2016, 513, Rn. 21 - Eizellspende).

b) Vorstehendes trifft auf § 2 SGB IV, soweit daraus die Pflicht zum Abführen von Sozialbeiträgen herzuleiten ist, nicht zu.

aa) Es stellt kein unlauteres Marktverhalten dar, wenn ein Arbeitgeber nicht die gesetzlich geschuldeten Sozialbeiträge für seine Arbeitnehmer abführt (Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 3a Rn. 1.70). Denn das Nichtabführen der Sozialbeiträge für die Arbeitnehmer beeinträchtigt insbesondere das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung und das Vermögen der Arbeitnehmer. Es ist daher wett...

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