Leitsatz (amtlich)

Ein dem Geschädigten anrechenbares Mitverschulden kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil er das Unfallfahrzeug veräußert, ohne zuvor ein Restwertangebot des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners abzuwarten.

 

Normenkette

BGB § § 249, 254 Abs. 2 S. 1, § 254 Alt. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 11.12.2014; Aktenzeichen 43 O 94/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.12.2014 verkündete Urteil der Zivilkammer 43 des LG Berlin - 43 O 94/14 - teilweise geändert:

1. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger weitere 3.022,42 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.3.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger weitere 71,17 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.3.2014 zu zahlen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges hat die Beklagte zu tragen; die Kosten des zweiten Rechtzuges haben der Kläger zu 12 % und die Beklagte zu 88 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall vom 10.1.2014 gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners über den von dem LG zugesprochenen Betrag hinaus gem. §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB; §§ 7, 11, 17 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG ein Anspruch auf Zahlung weiterer 3.022,42 EUR zu, weil das LG zu Unrecht angenommen hat, der Kläger hätte das später von der Beklagten eingeholte höhere Restwertangebot abwarten müssen und nicht zuvor das Unfallfahrzeug verkaufen dürfen.

1. Bei der konkreten Abrechnung ist der tatsächliche Schaden, also der realisierte Restwert maßgeblich, der insoweit als Beleg des zurechenbaren Schadens insbesondere dann genügt, wenn dieser - wie hier - dem von einem Gutachter ermittelten Wert entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2009 - VI ZR 205/08, NJW 2009, 1265 [12]; BGH, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06, NJW 2007, 1674 [10 f.]; BGH, Urt. v. 30.5.2006 - VI ZR 174/05, NJW 2006, 2320, 2320 f. [8 f.]). Der Geschädigte muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer des Unfallgegners über das Internet recherchiert worden ist. Vielmehr darf sich der Geschädigte an dem Gutachten sowie dem regionalen Markt orientieren (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 1.6.2010 - VI ZR 316/09, NJW 2010, 2722 [7]; BGH, Urt. v. 13.10.2009 - VI ZR 318/08, NJW 2010, 605 [9]; BGH, Urt. v. 13.1.2009 - VI ZR 205/08, NJW 2009, 1265 [9 f.]; BGH, Urt. v. 10.7.2007 - VI ZR 217/06, NJW 2007, 2918 [10]; BGH, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 120/06, NJW 2007, 1674, 1675 [10]; BGH, Urt. v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, NJW 2005, 3134 [II.1.]; BGH, Urt. v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, NJW 2005, 357, 357 f. [II. 3. a)]; BGH, Urt. v. 30.11.1999 - VI ZR 219/98, NJW 2000, 800 [B. 1. a)]), was auch der von ihm beauftragte Sachverständige zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2009 - VI ZR 205/08, NJW 2009, 1265, 1265 f. [10]; BGH, Urt. v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04, NJW 2005, 3134 [II. 2.]; Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rz. 48).

2. Da der von dem Geschädigten beauftragte Sachverständige nicht sein Erfüllungsgehilfe ist, kann dem Geschädigten nur ein eigenes Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 S. 1, Alt. 2 BGB angelastet werden, was dann in Betracht kommt, wenn er hätte erkennen können, dass die Restwertermittlung des Sachverständigen keine verlässliche Grundlage darstellte. Vorliegend ist die sachverständige Ermittlung aber formal schon nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gutachter im Regelfall drei Angebote einzuholen (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.2009 - VI ZR 318/08, NJW 2010, 605 [11]; BGH, Urt. v. 13.1.2009 - VI ZR 205/08, NJW 2009, 1265 [13], vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rz. 48), während der von dem Kläger beauftragte Sachverständige hier nur zwei Angebote auf dem regionalen Markt ermittelte. Er gab jedoch ferner an, Angebote des allgemeinen regionalen Marktes hätten nicht erzielt werden können. Daraus rechtfertigt sich die Annahme einer Abweichung vom Regelfall, so dass dies nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls ist dem Kläger als Geschädigten nicht anzulasten, wenn er ein solches Gutachten zur Grundlage nimmt, zumal der Sachverständige ausdrücklich mit dem konkreten Zitat der maßgeblichen Entscheidung des BGH verband, diese Rechtsprechung zu beachten.

3. Der Geschädigte kann sich ferner dann dem Einwand aussetzen, er habe den Schaden nicht zumutbar gemindert (§ 254 Abs. 2 S. 1, Alt. 2 BGB), wenn er ein ihm rechtzeitig übermitteltes und zumutbares höheres Restwertangebot des Versicherers des Unfallgegners nicht annimmt. Vorliegend hatte der Kläger das Unfallfahrzeug jedoch zuvor bereits veräußert gehabt.

a) Anders als das LG meint, musste er au...

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