Leitsatz (amtlich)

1. Wird in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für die Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne des IfSG gewährt und heißt es im Anschluss, "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger...", ohne dass auf das Gesetz in einer bestimmten Fassung verwiesen wird, dann unterfallen wegen der Corona-Pandemie behördlich angeordnete Betriebsschließungen grundsätzlich dem Versicherungsschutz, weil es sich um eine sogen. dynamische Verweisung auf die jeweils zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltende Fassung des Gesetzes handelt und von der Verweisung auch die durch die CoronaVMeldeV vom 31.01.2020 erfolgte Ausdehnung der Meldepflicht gemäß §§ 6 und 7 IfSG auf das neuartige Coronavirus umfasst ist

2. Um eine behördlich angeordnete Betriebsschließung im Sinne der Bedingungen handelt es sich auch dann, wenn die Landesregierung aufgrund der Ermächtigung in § 32 IfSG entsprechende Gebote oder Verbote auf dem Verordnungswege erlässt. Dies gilt hier für die Verordnungen des Senats von Berlin, die in den Monaten März bis Mai 2020 zur Eindämmung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus ergangen sind.

3. Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt nicht voraus, dass die behördlich angeordnete Betriebsschließung rechtmäßig war.

 

Normenkette

VVG § 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 25.05.2021; Aktenzeichen 7 O 189/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25.05.2021, Az. 7 O 189/20, abgeändert:

Das Versäumnisurteil des Landgerichts Berlin vom 31.08.2020 wird aufrechterhalten.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vorläufig vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin betreibt in Berlin eine Gaststätte. Sie begehrt von der Beklagten aufgrund von Schließungsanordnungen des Berliner Senats im Frühjahr 2020 Leistungen aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Geschäftsversicherung, die auch einen Betriebsschließungsversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 400.000 Euro beinhaltet (Versicherungsschein vom 10.10.2019, Anlage K 1).

Der Versicherungsumfang der "Betriebsschließungs-Pauschalversicherung" (Versicherungsschein S. 4) bestimmt sich nach den Bedingungen für die "Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)" - im Folgenden: AVB - mit Stand vom 01.06.2019 (Versicherungsschein S. 6, Anlage K 2).

Gemäß Ziffer 1 Absatz 1 AVB erstattet der Versicherer die Schäden, die dadurch entstehen, dass "der versicherte Betrieb von behördlichen Anordnungen (siehe Ziffer 3) aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) betroffen" ist. Umfasst sind gemäß Ziffer 1 Absatz 2 AVB u.a. "Schäden und Kosten infolge behördlicher Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten (siehe Ziffer 3.1)".

In Ziffer 3.1 heißt es:

"Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; ...".

Ziffer 3.4 lautet:

"Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1.d) IfSG".

In Ziffer 8.1 AVB heißt es zur "Entschädigungsberechnung Schließung":

"Der Versicherer ersetzt im Falle einer Schließung nach Ziffer 3.1.1 den entgehenden Gewinn aus dem Umsatz der hergestellten Erzeugnisse, der gehandelten Waren und der Dienstleistungen sowie die fortlaufenden Kosten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Schließung wieder aufgehoben wird, höchstens bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit.

Kosten werden nur ersetzt, sofern ihr Weiteraufwand rechtlich notwendig oder wirtschaftlich begründet ist und soweit sie ohne die Störung des Betriebsablaufs erwirtschaftet worden wären.

Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, beginnt die Haftzeit zum Zeitpunkt der erstmaligen Schließung und endet 30 Tage später.

Die Entschädigung ist a...

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