Leitsatz (amtlich)

1. Der Führer einer Straßenbahn hat die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu beachten, wenn zwar ein besonderer Gleiskörper vorhanden ist, aber die Gleisübergänge nicht durch Andreaskreuze gekennzeichnet sind.

Der Führer einer Straßenbahn haftet im Falle ihm nachgewiesenen Verschuldens für gegenwärtige und künftige immaterielle Schäden (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, 256 ZPO). § 18 Abs. 1 S. 1 StVG findet in keinem Fall Anwendung.

2. Im Falle des Verschuldens des Straßenbahnführers haftet das Betriebsunternehmen für gegenwärtige und künftige immaterielle Schäden gem. §§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, 256 ZPO. Die Haftung aus § 1 HaftpflG betrifft lediglich materielle Schadensersatzansprüche.

Zu den Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Betriebsunternehmens der Straßenbahn gem. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB, denen er vorliegend nicht genügt hat; es fehlt an sog. verdeckten Kontrollfahrten vor dem Unfallereignis.

3. Schmerzensgeld i.H.v. 51.129,19 Euro (100.000 DM) und lebenslang 266 Euro monatlich seit dem Unfalltag für das damals 10 1/2-jährige Kind als Fußgänger (kapitalisiert 220.000 DM Schmerzensgeld) nebst immateriellem Vorbehalt unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Kindes von einem Viertel für schwerste Verletzungen: Schädelhirntrauma mit zahlreichen Einblutungen (Hirnverletzungen; anfangs sog. apallisches Syndrom), Bauchtrauma, Thoraxtrauma, Lungenkontusion, Folge: spastische Halbseitenlähmung links und Ataxie des Rumpfes, insb. der rechten Hand, komplexe Sprachstörung; das Kind ist auf ständige Hilfe eines Dritten sowie auf einen Rollstuhl angewiesen; vorerst auf Dauer 100 % MdE. Die stationäre Behandlung belief sich auf mehr als neun Monate; seither ist eine ständige ambulante Behandlung erforderlich.

 

Normenkette

HaftpflG § 1; BGB §§ 823, 831, 847; ZPO § 276

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 648/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers, die i.Ü. zurückgewiesen wird, wird das am 10.1.2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin geändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter einen Schmerzensgeldkapitalbetrag i.H.v. 51.129,19 Euro (100.000 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 8.9.1999 auf 15.338,76 Euro (30.000 DM) und seit dem 17.11.2000 auf weitere 35.790,43 Euro (70.000 DM) sowie einen Schmerzensgeldrentenbetrag von 15.561 Euro. und seit dem 1.10.2002 fortlaufend – lebenslang – monatlich eine Schmerzensgeldrente i.H.v. 266 Euro zu zahlen.

Ferner sind die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet, alle künftigen immateriellen Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 15.11.1997 gegen 16.05 Uhr in B. auf dem mit einer Lichtzeichenanlage ausgestatteten Fußgängerüberweg in Höhe des Grundstücks Nr. 231 der D.-Straße im Einmündungsbereich der Co.-Straße zu ersetzen, und zwar unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 1/4.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die dieser selbst zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Der am 28.4.1987 geborene Kläger hat im ersten Rechtszug einen erststelligen Teilbetrag eines Schmerzensgeldanspruchs aus dem Verkehrsunfall vom 15.11.1997 gegen 16.05 Uhr in Berlin-Prenzlauer Berg auf dem mit einer Lichtzeichenanlage ausgestatteten Fußgängerüberweg in Höhe des Grundstücks Nr. 231 der D.-Straße im Einmündungsbereich der Co.-Straße geltend gemacht. Die beiden Richtungsfahrbahnen der D.-Straße sind – auch im genannten Einmündungsbereich zur Co.-Straße – durch einen breiten Mittelstreifen getrennt, auf denen Schienen für die Straßenbahn verlegt sind.

Der Kläger lief oder rannte bei für ihn grünem Ampellicht über die nordwestliche Richtungsfahrbahn der D.-Straße in nordöstlicher Richtung, hielt aber nicht auf der südwestlichen Fußgängerinsel inne, sondern lief oder rannte auf das Gleisbett weiter, wie er behauptet hat, wo er vom in nordwestlicher Richtung fahrenden, vom Beklagten zu 1) geführten und von der Beklagten zu 2) betriebenen Straßenbahnzug erfasst und schwer verletzt wurde. Für den Bereich des Gleisbetts gilt eine von der zuvor genannten Lichtzeichenanlage abweichende Regelung durch eine besondere Lichtzeichenanlage, die für den Beklagten zu 1) zur Unfallzeit weißes Licht abstrahlte.

Das LG hat den Beklagten zu 1) persönlich angehört, zum Unfallhergang auf Antrag des Klägers die damals 46-jährige Hausfrau D.D., den 50-jährigen Kaufmann U.D., den damals 11 Jahre alten Schüler F.D., den 11-jährigen Schüler B.B., den 11-jährigen M.D., die 11 Jahre alte D.B. und die 11-jährige Schülerin P.P. als Zeugen vernommen. Bezüglich ihrer Angaben wird auf das Protokoll des LG vom 22.3.1999 verwiesen ...

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