Leitsatz (amtlich)

1. Die Kosten für eine medizinisch notwendige kieferorthopädische Behandlung des minderjährigen Kindes stellen - soweit hierfür nicht die Krankenkasse aufkommt - einen unterhaltsrechtlichen Sonderbedarf dar, für den beide Elternteile quotal, entsprechend dem Verhältnis ihrer Einkünfte einzustehen haben.

2. Auch bei der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Zahlung eines unterhaltsrechtlichen Sonderbedarfs bestimmt sich seine Leistungsfähigkeit nicht allein nach den tatsächlich vorhandenen Einkünften, sondern darüber hinaus auch durch seine Arbeitsfähigkeiten und Erwerbsmöglichkeiten, so dass eine Zurechnung fiktiver Einkünfte in Betracht kommt, wenn der Unterhaltspflichtige eine ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbare Erwerbstätigkeit nicht wahrnimmt, obwohl er dies könnte.

3. Eine erhaltene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes ist unter Berücksichtigung der Differenz zwischen früherem und jetzigen Einkommen auf ein Jahr umzulegen.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Pankow/Weißensee (Beschluss vom 19.07.2016; Aktenzeichen 21 F 7491/15)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 19.7.2016 erlassenen Teilanerkenntnis- und Schlussbeschluss des AG Pankow/Weißensee - 21 F 7491/15 - wird auf seine Kosten nach einem Beschwerdewert von 650 EUR zurückgewiesen.

Der am 19.7.2016 erlassene Teilanerkenntnis- und Schlussbeschluss des AG Pankow/Weißensee - 21 F 7491/15 - wird aufgrund einer offenbaren Unrichtigkeit in Ziff. 1 des Tenors wie folgt berichtigt:

  • Anstelle von "Mehrbedarf für die kieferorthopädische Behandlung" heißt es richtig "Sonderbedarf für die kieferorthopädische Behandlung" und
  • das Geburtsdatum der Antragstellerin lautet nicht "...2014" sondern richtig "...2004".
 

Gründe

I. Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 19.7.2016, mit dem er verpflichtet wurde, an die Antragstellerin, die Mutter der gemeinsamen, aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Tochter T.über den von ihm anerkannten Teilbetrag von 850 EUR hinaus einen weiteren Teilbetrag von 650 EUR und damit insgesamt 1.500 EUR nebst Zinsen hieraus als unterhaltsrechtlichen Sonderbedarf für T.kieferorthopädische Behandlung zu zahlen.

Zur Begründung der Entscheidung hat das Familiengericht dargelegt, dass die Antragstellerin und der Antragsgegner zwar verheiratet seien, aber unstreitig seit September 2013 getrennt lebten. Aus der Ehe sei die heute zwölf Jahre alte Tochter T.hervorgegangen, die unstreitig im Haushalt der Mutter lebe und - ebenfalls unstreitig - aufgrund einer Zahnfehlstellung im Sommer 2015 der kieferorthopädischen Behandlung bedurfte, für die über den "Kassenanteil" hinaus unstreitig ein Eigenanteil von 1.700 EUR zu zahlen gewesen sei. Diese Kosten stellten einen unterhaltsrechtlichen Sonderbedarf des Kindes dar, für den der Antragsgegner mit hafte. Mit Schreiben vom 28.9.2015 habe die Antragstellerin den Antragsgegner aufgefordert, sich an den Behandlungskosten der Tochter zu beteiligen und zwar, da seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse wesentlich besser seien als diejenigen der Antragstellerin, mit einem Haftungsanteil von 91,48 %. Da die Antragstellerin nicht die Zahlung des vollen Betrages von 1.700 EUR begehre, sondern lediglich Leistung von 1.500 EUR - ganz grob etwa 90 % des Gesamtbetrages von 1.700 EUR - gefordert habe, sei der Antragsgegner verpflichtet, über die von ihm selbst zugestandene und auch anerkannte Kostenbeteiligung in Höhe von 850 EUR hinaus den gesamten, geforderten Betrag von 1.500 EUR für die kieferorthopädische Behandlung zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angegriffenen Teilanerkenntnis- und Schlussbeschluss Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Er meint, er habe sich nicht mit den geforderten 1.500 EUR an der kieferorthopädischen Behandlung der Tochter zu beteiligen, sondern lediglich in Höhe der Hälfte des in Rechnung gestellten Eigenanteils, nämlich in Höhe der von ihm anerkannten 850 EUR. Er macht geltend, nicht ausreichend leistungsfähig zu sein, um den Sonderbedarf der Tochter in der geforderten Höhe abdecken zu können. Hierzu trägt er vor, dass er zuletzt als ...leiter mit Prokura eines großen, europaweit tätigen Tank- und Serviceunternehmens für den Bereich internationaler Straßentransporte tätig gewesen sei. Im Dezember 2013 sei er im Zuge einer Betriebsumstrukturierung vom Arbeitgeber von der Arbeit freigestellt und schließlich zum 30.9.2014 betriebsbedingt gekündigt worden; seit dem 1.10.2014 sei er arbeitslos. Vom 29.9.2015 bis zum 31.10.2015 habe er sich in stationärer psychosomatischer/psychotherapeutischer Behandlung befunden; bei ihm sei eine mittelgradige depressive Episode ohne psychotische Symptome sowie eine essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise diagnostiziert worden. Seit November 2014 bis heute sei er durchgängig arbeitsunfähig. Trotz seiner Erkrankung habe er sich seit dem 20.3.2015 bei insgesamt 52 potenti...

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