Leitsatz (amtlich)

Kein Strafklageverbrauch durch Beschränkung des Einspruchs auf einzelne, im Bußgeldbescheid tatmehrheitlich gewertete Ordnungswidrigkeiten, die aber tatsächlich in Tateinheit zueinander stehen, weil die Teilrücknahme des Einspruchs unwirksam ist.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 14.12.2015; Aktenzeichen 306 OWi 330/15)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. Dezember 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben,

2. die weitergehende Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe, dass der Verstoß gegen das Benutzungsverbot eines Mobiltelefons nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO vorsätzlich gegangen worden ist, als unbegründet verworfen und

3. die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit dem Bußgeldbescheid vom 3. Dezember 2014 hat der Polizeipräsident X gegen die Betroffene wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 430 Euro, wegen eines Verstoßes gegen das Benutzungsverbot eines Mobiltelefons eine Geldbuße von 60 Euro und wegen des Nichtmitsichführens der Zulassungsbescheinigung eine Geldbuße von 10 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Dagegen hat die Betroffene Einspruch einlegt, den sie mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 14. September 2015 auf den Vorwurf des fahrlässigen Rotlichtverstoßes beschränkt hat. Unter dem 2. Oktober 2015 hat das Amtsgericht dem Verteidiger mitgeteilt, dass es diese Beschränkung für unwirksam hält, weil es entgegen dem Bußgeldbescheid von einer tateinheitlichen Begehung der Ordnungswidrigkeiten ausgeht. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Betroffene am 14. Dezember 2015 wegen der zuvor genannten, in Tateinheit zueinanderstehenden Vorwürfe zu einer Geldbuße von 300,00 Euro nach §§ 23 Abs.1a (ergänzt: Satz 1) StVG, 37 Abs. 2 (ergänzt: Nr. 2 Satz 7), 49 (ergänzt: Abs. 1 Nr. 20, Abs. 3 Nr. 2) StVO, 11 Abs. 5, 48 (ergänzt: Nr. 5) FZV i.V.m. §§ 24 (ergänzt: Abs. 1, 26a Abs. 1 Nr. 2 StVG, 1 Abs. 2 Abschnitt I lfd. Nr. 174 und Abschnitt II lfd. Nr. 246.1 BKatV) verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat nach §§ 25 (ergänzt: Abs. 1 Satz 1, 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG, 4 Abs. 1 Nr. 3, lfd. Nr. 132.3 BKatV) angeordnet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stand die Betroffene am 13. Oktober 2014 um 11.12 Uhr in X mit ihrem PKW an der rotlichtabstrahlenden Lichtzeichenanlage der Kreuzung S.-Straße/A.-straße, BAB Zu- und Abfahrt Richtung Osten. Sie hielt zeitgleich ihr Mobiltelefon in der linken Hand und tippte mit der rechten Hand auf dem Tastenfeld. Nach Umschalten der Ampel auf Grün fuhr sie in der linken Geradeausspur auf die Kreuzung S.-Straße/R.-straße zu, während sie weiter auf dem Handy tippte. Ca. 1 bis 2 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie wechselte sie plötzlich in die Linksabbiegerspur und fuhr in die Kreuzung ein, obgleich die Lichtzeichenanlage für die Linksabbieger bereits auf Rot geschaltet hatte, als sich das Fahrzeug noch ca. 5 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie befand. In der Kreuzungsmitte bremste sie stark ab, weil ihr ein Fahrzeug entgegenkam, das ihretwegen kurz hinter seiner Haltelinie ebenfalls abrupt abbremsen musste. Sie kam auf dem linken Fahrstreifen des Gegenverkehrs zum Stehen. Die Betroffene hielt zu diesem Zeitpunkt immer noch ihr Handy in der Hand am Ohr und telefonierte.

Bei der polizeilichen Kontrolle konnte sie ihre Fahrzeugzulassung nicht vorlegen.

In der Hauptverhandlung räumte die Betroffene den Verstoß gegen die Pflicht, die Zulassungsbescheinigung mit sich zuführen und auf Verlangen den sie kontrollierten Polizeibeamten vorzulegen, ein, während sie die weiteren Vorwürfe zurückwies.

Mit der gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Rechtmittelführerin die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG zulässig und hat mit der allgemeinen Sachrüge - aber nur im Rechtfolgenausspruch - Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, durch teilweise Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 3. Dezember 2014, sei Strafklageverbrauch nach § 84 Abs. 1 OWiG eingetreten, dringt nicht durch. Das Verfahren ist nicht nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 206a StPO einzustellen, weil ein Verfahrenshindernis nicht besteht.

a) Entgegen der Auffassung des Verteidigers führt die teilweise Rücknahme des Einspruchs nicht dazu, dass die Betroffene gemäß § 84 Abs. 1 OWiG wegen des Vorwurfs des qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht mehr verurteilt werden könnte. Denn die Beschränkung des Einspruches war aus Rechtsgründen unwirksam. Auch wenn nach § 67 Abs. 2 OWiG der Einspruch "auf bestimmte Beschwerdepunkte" beschränkt werden kann, gilt dies - ebenso wie bei der Berufung (§ 318 Satz 1 StPO) und dem Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 Abs. 2 StPO) - nicht, ...

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