Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenshindernisse: Teilrücknahme eines Bußgeldbescheides, Eintritt der vertikalen Rechtskraft, Strafklageverbrauch, Wirksamkeit der Erklärung der Teilrücknahme wegen unbeachtlichen Motivirrtums. Verfahrensrügen wegen unterlassenen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO und wegen der Behinderung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Teilrücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid durch den Betroffenen berührt die Verurteilung wegen eines weiteren selbstständigen, weil in Tatmehrheit stehenden Vorwurfes nicht, auch wenn die Verkehrsverstöße (Rotlicht- und anschließend ein Gelblichtverstoß) während einer Fahrt in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang - hier: innerhalb von etwa 150 Meter - begangen wurden. Denn der Betroffene hat sich über verschiedene Normappelle hinweggesetzt, und eine einheitliche Zielsetzung der Verstöße war objektiv nicht erkennbar.

2. Nimmt der Betroffene in der irrigen Annahme, die beiden ihm zur Last gelegten Tathandlungen stünden in Tateinheit und nicht wie im Bußgeldbescheid rechtlich zutreffend ausgewiesen in Tatmehrheit, den Einspruch teilweise zurück, ist diese Erklärung wirksam. Der Irrtum des Betroffenen ist ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH NStZ 1984, 181 m.w.N.).

3. Die Teilrücknahme führt nicht zum Strafklageverbrauch nach § 84 Abs. 1 OWiG, weil sich die hierdurch eingetretene vertikale Rechtskraft nicht auf den weiteren dem Betroffenen mit gleichem Bußgeldbescheid zur Last gelegten selbstständigen Vorwurf erstreckt.

4. Rügt die Verteidigung mit der Rechtsbeschwerdebegründung, erstmalig in der Hauptverhandlung über beide Tatorte informiert worden zu sein, und meint sie, sie sei in einem entscheidungserheblichen Punkt nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 338 Nr. 8 StPO behindert worden, muss der Rechtsbeschwerdeführer eine Verfahrensrüge erheben, die erkennen lässt, warum es u.a. dem verteidigten Betroffenen nicht zuzumuten war, in einer solchen Verfahrenssituation entweder Beweisanträge zu stellen oder die Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens zu beantragen, um sich sachgerecht auf die als neu empfundene Verfahrenssituation einzustellen.

5. Rügt die Verteidigung, ohne rechtlichen Hinweis des Gerichts nicht entsprechend dem Bußgeldbescheid wegen eines Rotlichtverstoßes mit Gefährdung des Querverkehrs, sondern wegen eines Rotlichtverstoßes von über einer Sekunde Dauer verurteilt worden zu sein, bedarf es der Erhebung einer Verfahrensrüge, die die Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllen muss. Dazu reicht allein der Hinweis auf die fehlende Belehrung nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 Abs. 1 StPO nicht.

 

Normenkette

OWiG § 67 Abs. 2, § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1, § 84 Abs. 1; StPO § 265 Abs. 1, § 302 Abs. 1, § 338 Nr. 8

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 15.01.2021; Aktenzeichen 343 OWi 969/20)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 2021 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in B. hat dem Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 17. Juni 2020 vorgeworfen, am 4. Mai 2020 um 14.27 Uhr in B., F.A./R. ein Rotlichtverstoß mit Gefährdung des Querverkehrs Fußgänger/Radfahrer begangen zu haben und deshalb eine Geldbuße von 200 Euro verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet und tatmehrheitlich wegen eines Gelblichtverstoßes eine Geldbuße von 10 Euro verhängt. Der Betroffene war nach dem zweiten Verstoß an der ampelgeregelten Einmündung der R. in die F. A. von den Polizeibeamten M. und G. angehalten, belehrt und angehört worden.

Der Betroffene, xxx, hat den rechtzeitig eingelegten Einspruch mit Schreiben vom 13. August 2020 hinsichtlich des Vorwurfes des Gelblichtverstoßes zurückgenommen und den Betrag von 10 Euro an die Landeshauptkasse überwiesen.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen, der sich in der Hauptverhandlung zwar zur Person, aber nicht zur Sache geäußert hat, am 15. Januar 2021 wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Der Betroffene legt Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil ein, die er auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts stützt.

Zur Begründung lässt er u.a. vortragen, dass ein Verfahrenshindernis aufgrund des unwirksamen Bußgeldbescheides bestehe, weil der Bescheid nicht die Umgrenzungsfunktion erfülle. Er weise zwei sich ausschließende Verstöße an einem Tatort zu einer Tatzeit aus. Der Betroffene habe erstmalig von dem weiteren Tatort in der Hauptverhandlung gehört. Dadurch sei seine Verteidigung erheblich beeinträchtigt worden, weil er den Gelblichtverstoß unter Zugrundelegen der Erkenntnisse des Gerichts, er habe das erste Wechsellicht passier...

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