Leitsatz (amtlich)

Bei der Annahme einer völligen Ungeeignetheit im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist äußerste Zurückhaltung geboten, um eine Begründetheitsprüfung im Gewande einer Zulässigkeitsprüfung zu verhindern. Ein Befangenheitsgesuch ist in diesem Sinne nicht völlig ungeeignet, wenn es darauf gestützt wird, ein Richter habe zu verstehen gegeben, er bedauere, dass dem Angeklagten ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zustehe.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 05.01.2007)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Januar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen; hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Bei dem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, der das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.

1.

Soweit sich die Revision gegen die Ablehnung des ersten Befangenheitsgesuchs richtet, das im Zusammenhang mit Äußerungen des Vorsitzenden Richters zu den Sprachkenntnissen des Angeklagten erhoben worden ist, ist die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt und daher unzulässig. Es fehlt an der Mitteilung des Inhalts der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., § 338 Rdn. 29).

2.

Die Rüge hinsichtlich des zweiten Ablehnungsgesuchs wegen Äußerungen des Vorsitzenden Richters gegenüber dem Zeugen M. greift durch.

a)

Dies geht auf folgendes Verfahrensgeschehen zurück:

Gegen den Angeklagten ist in der Berufungsinstanz wegen des Vorwurfs des räuberischen Diebstahls verhandelt worden. Als sich der Zeuge M. in der Hauptverhandlung darüber beschwerte, dass er noch einmal gehört werden sollte, obgleich er doch schon vor dem Amtsgericht ausgesagt hatte, erklärte der Vorsitzende Richter, eine erneute Vernehmung sei erforderlich weil das Gesetz leider eine Berufung vorsehe. In seinen weiteren Ausführungen ist der Vorsitzende Richter durch den Verteidiger mit der Ankündigung eines Antrages auf Befangenheit unterbrochen worden. Der Angeklagte hat den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er vor allem ausgeführt, der abgelehnte Richter habe mit seiner Äußerung zum Ausdruck gebracht, dass er es bedauere, dass der Angeklagte ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts habe. Dies begründe aus der Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit.

Unter Mitwirkung des abgelehnten Richters hat die Strafkammer diesen Antrag unter Berufung auf § 26 a StPO als unzulässig verworfen.

b)

Der absolute Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 3 StPO liegt vor.

aa)

Die Rüge ist zulässig erhoben. Sie trägt die sie begründenden Tatsachen, soweit die Verfahrensweise nach § 26 a StPO beanstandet wird, hinreichend genau und vollständig vor, so dass der Senat bereits allein auf dieser Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen wären (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7, 8).

bb)

Das Ablehnungsgesuch ist zu Unrecht als unzulässig verworfen worden. Die Strafkammer durfte die Verwerfung des Antrags nicht auf die völlige Ungeeignetheit der vorgetragenen Befangenheitsgründe, also auf § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO stützen. Eine Entscheidung über diesen Antrag war dem abgelehnten Richter verwehrt, sie war gemäß § 27 StPO einem anderen Richter dieses Gerichts vorbehalten.

Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Ablehnungsantrag entscheidet. Voraussetzung für die Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 138/07 - m.w.N.). Jenseits dieser formalen Prüfung darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26 a Abs. 1 StPO zum "Richter in eigener Sache" machen (vgl. BVerfG a.a.O.).

Ein Ablehnungsgesuch, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Gesuchs völlig ungeeigne...

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