Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 04.03.1999; Aktenzeichen 152 F 6095/98)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 4. März 1999 aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen, dem Verfahren Fortgang zu geben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin bei einem Wert von 500 DM zu tragen.

 

Gründe

Die Beschwerde ist nach § 252 ZPO statthaft. Denn das Amtsgericht hat durch die angefochtene Entscheidung die Unterbrechung des Rechtsstreits festgestellt. Nach dem Wortlaut seines Beschlusses ist zwar eine Aussetzung des Rechtsstreits angeordnet worden. Hierbei ist der Amtsrichter jedoch ersichtlich einem begrifflichen Irrtum unterlegen. Das zeigt die von ihm zur Rechtfertigung seiner Entscheidung herangezogene rechtliche Grundlage des § 244 ZPO. Diese Vorschrift regelt einen Fall der Unterbrechung des Rechtsstreits, eine Ermächtigung zur Aussetzung des Verfahrens enthält die genannte Vorschrift dagegen nicht.

Die Beschwerde ist begründet.

Nach § 244 Abs. 1 ZPO tritt eine Unterbrechung des Verfahrens ein, wenn im Anwaltsprozess der Anwalt einer Partei unfähig wird, die Vertretung der Partei fortzuführen. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Ein Tätigkeitsverbot des Rechtsanwalts Gerasch nach § 45 BRAO bestand entgegen der Annahme des Amtsgerichts nicht.

Das Amtsgericht hat in seiner Nichtabhilfentscheidung ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO angenommen. Das ist fehlerhaft. Denn der Rechtsanwalt Gerasch ist in keiner der in dieser Vorschrift genannten Funktionen in der Scheidungsangelegenheit auch für Antragsgegnerin tätig geworden. Das wäre er freilich, wenn er den Scheidungsfolgenvertrag der Parteien als Notar beurkundet hätte; das hat er indes nicht getan. Der Scheidungsfolgenvertrag ist von den Parteien privatschriftlich abgeschlossen worden. Im Übrigen hätte das Amtgericht den Rechtsanwalt Gerasch nicht einmal dann zurückweisen dürfen, wenn er den Vertrag als Notar beurkundet hätte. Zwar sollen die Gerichte nach § 156 Abs. 2 BRAO entgegen einem Vertretungsverbot vor ihnen auftretende Rechtsanwälte zurückweisen. Das gilt jedoch nur in Fällen von ehrengerichtlich verhängten Vertretungsverboten (vgl. KG NJW-RR 1995, 762). Ein solches steht hier nicht in Frage.

Freilich vermeidet es der vorsichtige Anwalt, scheidungswillige Ehegatten gemeinsam zu empfangen. Tut er es dennoch, ist es für ihn ein unabdingbares Standesgebot, als Erstes klarzustellen, wessen Vertretung er übernommen hat oder übernehmen will. Ob der Rechtsanwalt Gerasch hier diesem Standesgebot (§ 43 a Abs. 4 BRAO) genügt hat, mag zweifelhaft sein; er mag nach den Angaben der Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 27. Februar 1999 sogar im Verdacht des Parteiverrats (§ 356 StGB) stehen, sofern diese Angaben den Tatsachen entsprechen. Solange deswegen aber kein anwaltsgerichtliches Vertretungsverbot – etwa gemäß § 161 a BRAO – gegen Rechtsanwalt Gerasch verhängt ist, lag es nicht in der Kompetenz des Amtsrichters, festzustellen, dass der Rechtsanwalt unfähig ist, den Antragsteller weiter zu vertreten, und deswegen dem Scheidungsverfahren keinen Fortgang mehr zu geben. Die Wirksamkeit von Rechtshandlungen eines Rechtsanwalts wird durch einen Verstoß gegen Standespflichten nicht berührt. Selbst umfassende Verletzungen der Standespflichten beeinträchtigen die Wirksamkeit seiner Handlungen nicht. Nur so können die Verfahrensbeteiligten im Interesse der Rechtssicherheit in ihren Interessen nachhaltig geschützt werden (vgl. BGH MDR 1993, 690).

Da der angefochtene Beschluss ohne gesetzliche Grundlage ist, war er ersatzlos aufzuheben. Der Amtsrichter hat dem Scheidungsverfahren nunmehr Fortgang zugeben.

 

Unterschriften

Scheer, Freymuth-Brumby, Hochgräber

 

Fundstellen

Haufe-Index 1126864

NJW-RR 2000, 799

ZAP 2000, 90

FPR 2000, 164

MDR 1999, 1402

KG-Report 1999, 278

OLG-Rspr. 2000, 3

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