Leitsatz (amtlich)

Eine komplexe und gefährliche Kreuzung (hier zweier Magistralen) erfordert von jedem Fahrzeugführer erkennbar hohe Aufmerksamkeit, so dass das Übersehen eines Ampelregisters mit einem Augenblicksversagen oder anderweitig leichter Fahrlässigkeit nicht in Einklang zu bringen ist.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 22.03.2019; Aktenzeichen 295 OWi 152/19)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. März 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 200 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf seinen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch hat ihn das Amtsgericht Tiergarten mit dem angefochtenen Urteil zu einer Geldbuße von 400 Euro verurteilt. Ein Fahrverbot hat es nicht verhängt. Die Urteilsgründe weisen aus, dass der Betroffene am 30. September 2018 um 15.03 Uhr vom H-Damm kommend nach links (Norden) in die B-Allee abgebogen ist. Dabei war er aufgrund grünen Ampellichts befugt, die nach Süden führenden Fahrstreifen der B-Allee zu überqueren. Die von ihm sodann zum Linksabbiegen zu beachtende Lichtzeichenanlage übersah er jedoch, so dass er die für ihn geltende Haltlinie überfuhr, als das rote Ampellicht bereits mehr als fünf Sekunden leuchtete. Dass kein Fahrverbot erforderlich sei, hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Unter Berücksichtigung des vorliegenden Einzelfalles wurde allerdings auf die Anordnung eines Fahrverbots gegen eine Erhöhung des Bußgeldes verzichtet, da die Funktion des Fahrverbotes zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht erforderlich war. Zu beachten war, dass der Rotlichtverstoß im Zuge eines Abbiegevorgangs aus dem H-Damm auf die B-Allee begangen wurde, bei dem die erste Lichtzeichenanlage im Mittelstreifendurchbruch zur B-Allee das Abbiegen für Linksabbieger an dieser Örtlichkeit durch Anzeigen der Grünphase zunächst ausdrücklich erlaubt. Unmittelbar nach dem Einbiegen auf die B-Allee befindet sich an der Ecke zur N-Straße (Fahrtrichtung Westen) allerdings eine zweite Lichtzeichenanlage, die zum Zeitpunkt der Grünphase der Linksabbieger an der ersten Lichtzeichenanlage rotes Licht abstrahlt. Aufgrund der unterschiedlichen Schaltung der Phasen und des geringen baulichen Abstandes der Lichtzeichenanlagen kommt es an der zweiten Lichtzeichenanlage - wie dem Gericht aus mehreren Verfahren bekannt ist - regelmäßig zu Rotlichtverstößen mit einer auffällig hohen Rotlichtzeit. Auch der Betroffene ist über die Haltelinie dieser zweiten Lichtzeichenanlage bei einer bereits seit 5,1 Sekunden andauernden Rotlichtphase gefahren. Diesen Verstoß hat er unumwunden eingeräumt und auch erklärt, dass er die zweite Lichtzeichenanlage bei der gebotenen Aufmerksamkeit hätte erkennen können und müssen. Dennoch war hier zu berücksichtigen, dass gerade kein typischer Rotlichtverstoß im Sinne eines "Noch-drüber-Fahrens" vorlag und es an der Tatörtlichkeit aufgrund der unübersichtlichen Phasenschaltung regelmäßig zu Rotlichtverstößen kommt. Da der Betroffene bisher verkehrsrechtlich unvorbelastet war, sich hinsichtlich seines Verkehrsverstoßes einsichtig zeigte und die bauliche Anordnung an dieser Örtlichkeit zu berücksichtigen war, war aus Sicht des Gerichts keine Einwirkung auf den Betroffenen durch ein Fahrverbot erforderlich. Es lag kein typischer Regelfall vor, der allein anhand der Regelbuße zu ahnden gewesen wäre. Um dem Betroffenen dennoch die potentiellen Gefahren eines solchen erheblichen - wenn auch atypischen - Rotlichtverstoßes zu verdeutlichen, wurde das Bußgeld im Vergleich zum vorgesehenen Regelsatz deutlich erhöht."

Gegen diese Rechtsfolgenentscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Urteilsgründe lassen keinen Sachverhalt erkennen, der es dem Amtsgericht erlaubte, vom indizierten Regelfahrverbot abzusehen.

1. Die angefochtene Entscheidung verkennt die Bedeutung des bundeseinheitlich geltenden Bußgeldkatalogs, die in ihm zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Vorbewertung der dort normierten Regelfälle und die ihn prägende Regelbeispieltechnik. Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGHSt 38, 125; 38, 231, 235). Der Tatrichter ist in diesen Fällen - nicht zuletzt auch unter d...

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