Leitsatz (amtlich)

1. Ein gemeinschaftliches Testament, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder als Schlusserben einsetzen, erlangt mit dem Tod des Erstversterbenden regelmäßig Bindungswirkung, weil die Verfügungen sich insoweit als wechselbezüglich i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB darstellen, als der eine Ehegatte den anderen nur deshalb zum Alleinerben einsetzt, weil dieser die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben bestimmt. Denn ein Ehegatte wird die durch die Einsetzung des anderen Ehegatten zum Alleinerben verbundene Enterbung der gemeinsamen Kinder regelmäßig nur deshalb in Kauf nehmen, weil der andere Ehegatte sie zugleich als Schlusserben einsetzt und so sichergestellt ist, dass die Kinder zumindest im zweiten Erbgang am Familienvermögen teilhaben können.

2. Durch das Versterben eines als Schlusserben eingesetzten Kindes nach dem Tod des Erstversterbenden, aber vor Eintritt des Schlusserbfalls entfällt die Bindungswirkung zugunsten eines Ersatzerben, wenn sich dessen Berufung nicht aufgrund einer individuellen Auslegung des Testaments ermitteln lässt sondern nur auf der Zweifelsregelung des § 2069 BGB beruht (Anschluss BGH FamRZ 2002, 747)

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Neukölln (Beschluss vom 24.04.2014; Aktenzeichen 62 VI 737/13)

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin vom 27.5.2014 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 24.4.2014 und vom 24.9.2014 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 1.9.2014 (früheres Az. 6 W 160/14) werden auf ihre Kosten bei einem Beschwerdewert von 100.000 EUR zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist die gemeinsame Tochter des Erblassers und seiner im März 2008 vorverstorbenen Ehefrau.

Mit gemeinschaftlichen Testament vom 16.12.2002, auf das Bezug genommen wird (Beiakte 62 IV 244/13 Bl. 19/20), haben sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder, die Antragstellerin und deren am 2.8.2008 verstorbenen Bruder als Schlusserben eingesetzt.

Unter dem 29.4.2013 hat der Erblasser ein eigenhändiges Testament erstellt und in amtliche Verwahrung gegeben. Mit dieser letztwilligen Verfügung hat er die Antragstellerin und deren Sohn sowie den Sohn seines verstorbenen Sohnes enterbt. Dieser hat am 28.8.2008 die Erbschaft nach seinem Vater ausgeschlagen (begl. Kopie Bl. 10 d.A.). Wegen der weiteren Verfügungen des Erblassers, in denen auch sein Bruder, der Beteiligte zu 2., erwähnt wird, wird auf das Testament vom 29.4.2013 (Beiakte 62 IV 244/13, Bl. 16/17) verwiesen.

Die Antragstellerin hat mit notarieller Erbscheinsverhandlung vom 29.11.2013 unter Hinweis darauf, dass ihr unter dem 26.11.2008 ein Erbschein als Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Bruder erteilt worden ist, die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin nach ihrem Vater ausweist. Mit Schreiben des beurkundenden Notars vom 1.3.2014 hat sie hilfsweise beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie und ihren verstorbenen Bruder als Miterben zu gleichen Teilen ausweist.

Das Nachlassgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 24.4.2014, dem beurkundenden Notar zugegangen am 28.4.2014, zurückgewiesen. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbe-vollmächtigten vom 27.5.2014, per Fax eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Beschwerde erhoben, mit der sie ihren Hauptantrag weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, ihr einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der sie und den Sohn des verstorbenen Sohnes des Erblassers je zu 1/2 als Erben ausweist.

Mit Beschluss vom 1.9.2014, zugestellt am 4.9.2014 hat das Nachlass-gericht der Beschwerde betreffend den Hauptantrag nicht abgeholfen und den geänderten Hilfsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 24.9.2014, beim Nachlassgericht eingegangen am selben Tag, der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 21.10.2014 nicht abgeholfen hat.

II. Die Beschwerden der Antragstellerin sind gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig, sie sind jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache bleiben die Beschwerden jedoch ohne Erfolg, denn die Zurückweisung der Erbscheinsanträge durch das Nachlassgericht erfolgte im Ergebnis zu Recht:

1. Beschwerde vom 27.5.2014 gegen die Zurückweisung des Hauptantrages:

Die Zurückweisung des Hauptantrages -Erteilung eines Erbscheins, der die Antragstellerin als Alleinerbin ausweist- erfolgte zu Recht, weil die Antragstellerin nicht Alleinerbin geworden ist.

a) Allerdings folgt der Senat der angefochtenen Entscheidung nicht, soweit das Nachlassgericht die Enterbung der Antragstellerin durch das eigenhändige Testament des Erblassers vom 29.4.2013 für wirksam erachtet.

Erblasser war aufgrund des gemeinschaftlich mit seiner vorverstorbenen Ehefrau errichteten Testaments vom 16.12.2002 i.V.m. § 2271 Abs. 2 BGB an einer abweichenden Testierung und damit an einer Enterbung der Antragstellerin gehindert, weil die Einsetzung der Antragstellerin als Schlusserbin eine wechselbezügliche Verfügung i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB darstellt, die d...

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