Entscheidungsstichwort (Thema)

Wechselbezüglichkeit letztwilliger Verfügungen/Bindungswirkung/Wiederverheiratungsklausel

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Lichtenberg (Beschluss vom 13.05.2015; Aktenzeichen 61F VI 2521/13)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des AG Lichtenberg - Nachlassgericht - vom 13.5.2015 aufgehoben.

 

Gründe

I. Unter dem 3.11.1971 verfassten der Erblasser und seine damalige (erste) Ehefrau U...F.ein "Gemeinsames Testament" (beglaubigte Abschrift Inhalt Hülle Bl. 20 d.A. ...F IV./15 des AG Lichtenberg), wonach "beim Tode eines Ehegatten das gesamte Hab und Gut,... dem noch lebenden Ehepartner" zufallen sollte. Weiter hießt es: "Erst nach dem Tode beider Eheleute erbt unser Sohn ... (der Beteiligte zu 2))... unser gesamtes Hab und Gut. Sollte sich jedoch der noch lebende Ehepartner noch einmal verheiraten, so bekommt unser Sohn ... sofort sein zustehendes Erbteil".

Nach dem Tod der Ehefrau des Erblassers U...F.am ...1982 erteilte das AG Neukölln diesen einen Erbschein (Bl. 14 der (Rest-)Akte des AG Neukölln .../84). Am 20.5.1994 heiratete der Erblasser in Faßberg E.M., geborene K., die am ...2000 verstarb. Daraufhin heiratete der Erblasser am 14.2.2003 in Ruhpolding L.C.M., geborene P., die am ...2012 verstarb.

Unter dem 26.10.2012 errichtete der Erblasser vor dem Notar ...B.in Winsen (Aller) zur Urkunde Nr. ...2012 eine letztwillige Verfügung (beglaubigte Abschrift Inhalt Hülle Bl. 11 d.A. .../15), wonach er seinen "Pflegebruder", den Beteiligten zu 1), zu seinem "unbeschränkten Alleinerben" einsetzte; dieser habe sein ganzes Leben in seiner (des Erblassers) Familie verbracht und sei mit ihm zusammen aufgewachsen. Sein (des Erblassers) Sohn, der Beteiligte zu 2), zu dem er "schon seit 10 Jahren keinen Kontakt mehr habe, soll(e) nur seinen Pflichtteil erhalten".

Durch handschriftliches Testament vom 10.2.2013 (beglaubigte Abschrift Inhalt Hülle Bl. 2 der Akte .../15) erklärte der Erblasser seine bisherigen Testamente für ungültig, bestimmte den Beteiligten zu 1) zu seinem Erben, während sein Sohn, der Beteiligte zu 2), nur seinen Pflichtteil erhalten solle, da kein Kontakt bestehe.

Mit notarieller Erbscheinsverhandlung vom 03.5.2013 (Bl. 8-11 d.A.) beantragte der Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der ihm unter dem 11.7.2013 von dem Nachlassgericht erteilt wurde (vgl. Bl. 16, 17 d.A.).

Durch hiermit in Bezug genommenen Beschluss vom 13.5.2015 (Bl. 25, 26 d.A.) hat das AG Lichtenberg - Nachlassgericht - diesen Erbschein als unrichtig eingezogen, da sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.11.1971 richte, durch das der Erblasser gebunden und an einer neuen Testamentserrichtung gehindert sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde vom 28.5.2015, der das Nachlassgericht durch Beschluss vom 16.7.2015 (Bl. 66 d.A.) nicht abgeholfen hat.

II. Die gemäß §§ 58, 59, 63 FamFG zulässige sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1), die das Nachlassgericht gemäß § 68 Abs. 1 FamFG dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt hat, ist auch begründet.

Nach § 2361 Abs. 1 BGB setzt die Einziehung eines Erbscheins dessen Unrichtigkeit voraus. Vorliegend wäre der auf Grund letztwilliger Verfügung des Erblassers vom 10.2.2013 erteilte Erbschein vom 11.7.2013 aber nur dann unrichtig, wenn der Erblasser auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments vom 03.11.1971 an einer erneuten Testamentserrichtung gehindert gewesen wäre. Davon kann aber entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts nicht ausgegangen werden.

Vielmehr wäre der Erblasser an einer erneuten Testamentserrichtung nur dann gehindert gewesen, wenn er durch das gemeinschaftliche Testament vom 03.11.1971 gebunden gewesen wäre. Dies ist aus mehreren Gründen nicht der Fall. Nicht jedes gemeinschaftliche Testament bindet den überlebenden Ehegatten (BGH NJW-RR 1987, 1410f). Vielmehr sind auch in einem gemeinschaftlichen Testament niedergelegte Verfügungen - so sie denn nicht wechselbezüglich sind - nach den allgemeinen Vorschriften (§ 2253 Abs. 1 BGB) grundsätzlich frei widerruflich, und zwar in der Regel durch Testament (vgl. §§ 2254-2258 BGB). Entscheidend ist demnach, ob die Erbeinsetzung(en) wechselbezüglich war(en). Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind wechselbezügliche Verfügungen solche, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Teils nicht ohne die des anderen Teils getroffen sein würde. Die Feststellung, ob eine wechselbezügliche Verfügung gewollt ist, erfolgt durch Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen. Für den vorliegenden und in der Praxis häufigen Fall des Berliner Testaments (§ 2269 BGB) kann nicht ohne weitere Hinweise davon ausgegangen werden, dass jeder Ehegatte die gemeinsamen Kinder deswegen als Schlusserben (also Erben des überlebenden Ehegatten) einsetzt, weil der andere genauso verfährt (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 1040; 1986, 392; Weidlich in Palandt, BGB, 75. Aufl., § 2270 Rdn. 5; Firsching/Graf, Nachlassrecht, 10. Aufl., X, Rdn. 1.194). Solche Hinweise können sich al...

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