Leitsatz (amtlich)

Dem Vorsorgebevollmächtigten, der nicht zugleich zum nach § 69g Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigten Personenkreis zählt, kann die Einsicht in die Betreuungsakten nur dann verwehrt werden, wenn die Unwirksamkeit der Vollmacht offenkundig ist.

Ein Betreuer, dem nicht sämtliche Aufgabenkreise übertragen oder der nicht zum Vollmachtsüberwachungsbetreuer bestellt wurde, hat nicht die Befugnis, eine von dem Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht zu widerrufen. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, die Befugnis zum Widerruf einer solchen Vollmacht bei der Bestimmung der Aufgabenkreise ausdrücklich festzulegen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 17.08.2006; Aktenzeichen 83 T 370/06)

AG Berlin-Mitte (Aktenzeichen 50 XVII W 908)

 

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusstenors des Beschlusses des LG Berlin vom 17.8.2006 wird der Beteiligten zu 3) Akteneinsicht gewährt.

 

Gründe

I. Die weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 29 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 1 FGG. Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Beschwerde und ggf. die weitere Beschwerde eröffnet, weil es sich bei der Entscheidung über die Akteneinsicht nicht um einen Justizverwaltungsakt, sondern um eine gerichtliche Verfügung handelt (Senat, Beschl. v. 4.4.1978 - 1 W 1331/87 - Rpfleger 1978, 253; Beschl. v. 24.1.2006 - 1 W 133/05, KGReport Berlin 2006, 550 - FGPrax 2006, 122; Beschl. v. 14.3.2006 - 1 W 445/04, KGReport Berlin 2006, 576 = OLGReport 2006, 576 = BtPrax 2006, 118; OLG Zweibrücken v. 30.10.2002 - 3 W 192/02, OLGReport Zweibrücken 2003, 111; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 34; Rz. 13). Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) folgt aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde durch die angegriffene Entscheidung des LG (vgl. Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rz. 10).

II. Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung des LG beruht auf der Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

1. Das LG hat die Akteneinsicht durch die Beschwerdeführerin mit der Begründung verweigert, die ihr von der Betroffenen erteilte Vollmacht sei spätestens durch den Widerruf durch die Beteiligte zu 1) unwirksam geworden, so dass es der Beschwerdeführerin verwehrt sei, im Namen der Betroffenen aufzutreten. Deshalb bestehe keine Möglichkeit für sie, im Namen der Betroffenen die Bestellung der Beteiligten zu 1) zur Betreuerin überprüfen zu lassen. Ein eigenes Beschwerderecht stehe der Beschwerdeführerin nicht zu. Die von ihr beabsichtigte Beschwerde gegen die Betreuerauswahl sei deshalb von vornherein als unzulässig erkennbar.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 FGG kann die Einsicht in die Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Berechtigtes Interesse ist jedes vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse tatsächlicher, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art, das sich nicht auf vorhandene Rechte zu gründen oder auf das Verfahren zu beziehen braucht (Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 9. Aufl., § 34, Rz. 5); es reicht im Allgemeinen aus, dass vernünftiges Verhalten durch die Aktenkenntnis beeinflusst werden kann (BayObLGZ 1997, 315, 318; BayObLG v. 4.6.2004 - 3Z BR 97/04, BayObLGReport 2005, 54).

a) Die Beschwerdeführerin hat vortragen lassen, sie lasse die Erfolgsaussichten einer Beschwerde gegen die Betreuerbestellung prüfen und benötige in diesem Zusammenhang zunächst Akteneinsicht. Hierin ist ein berechtigtes Interesse im vorgenannten Sinn zu sehen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Beschwerde zulässig wäre. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob der Vorsorgebevollmächtigte berechtigt ist, im eigenen Namen Beschwerde gegen eine Betreuerbestellung zu erheben (so OLG Zweibrücken, FGPrax 2002, 260; a.A. aber BayObLG FGPrax 2003, 171; BayObLG, Beschl. v. 16.10.2003 - 3Z BR 163/03, BayObLGReport 2004, 112; Juris, Rz. 12). Denn die Beschwerdeführerin könnte im Namen der Betroffenen aufgrund der ihr erteilten notariellen Vollmacht vom 14.11.2003 eine solche Beschwerde im Namen der Betroffenen erheben (Senat, Beschl. v. 27.9.2005 - 1 W 169/04, KGReport Berlin 2006, 15 = BtPrax 2006, 39 = FGPrax 2006, 18). Die Betroffene hat die Beschwerdeführerin u.a. bevollmächtigt, sie in vermögensrechtlichen und persönlichen Angelegenheiten gerichtlich zu vertreten. Die Vollmacht sollte wirksam bleiben, auch wenn für die Betroffene ein Betreuer bestellt wird. Da der Beteiligten zu 1) als Betreuerin die Aufgabenkreise der Vermögens- und Gesundheitssorge übertragen wurden, wäre eine Beschwerde gegen ihre Bestellung vom Umfang der Vollmacht vom 14.11.2003 umfasst. Dass die Beschwerdeführerin ihre Anträge vom 29.5.2006 nicht als Bevollmächtigte der Betroffenen, sondern ersichtlich in eigenem Namen gestellt hat, schließt nicht aus, dass sie in den mittelbar ihre Vollmacht betreffenden Angelegenheiten zugleich im Namen der Betroffenen vorgeht. So...

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