Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsfreiheit in der Vollkaskoversicherung

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 16.11.2016; Aktenzeichen 42 O 354/15)

 

Gründe

Die Berufung ist zwar zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beide Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

1) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte gemäß § 28 Abs. 2 VVG in Verbindung mit E.5.1, E.3.2 der hier für den Versicherungsvertrag vereinbarten AKB 2008 leistungsfrei geworden ist.

a) Die AKB sind dem neuen Versicherungsrecht angepasst, gegen die Wirksamkeit der hier in Rede stehenden Klausel zur Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen bestehen keine Bedenken.

b) Gemäß E.3.2 ("Einholung unserer Weisung") hat der Versicherungsnehmer vor Beginn der Verwertung oder der Reparatur die Weisungen der Beklagten einzuholen und zu befolgen, soweit die Umstände dies gestatten und dies dem Versicherungsnehmer zumutbar ist. Gegen diese Obliegenheit hat der Kläger hier objektiv verstoßen, denn er hat sein unfallbeschädigtes Fahrzeug teilweise instand setzen lassen, ohne vorher Weisungen der Beklagten einzuholen und ihr die Besichtigung des Fahrzeuges mit dem unveränderten Schadensbild nach dem Unfall zu ermöglichen.

c) Die Obliegenheitsverletzung ist vom Kläger auch vorsätzlich begangen worden. Ihm war der Inhalt der AKB bekannt. Der Kläger hatte einen Verkehrsunfall erlitten, bei dem er von den Polizeibeamten, die den Unfall aufnahmen, als Verursacher eingestuft wurde. Er wusste deshalb, dass er anhand der AKB prüfen musste, ob er die Beklagte als Haftpflichtversicherer von dem Schadensfall informieren musste, weil eine Inanspruchnahme durch den Unfallgegner drohte. Er musste auch überlegen, ob er unter Umständen später die Beklagte als Kaskoversicherer wegen der erlittenen Schäden am eigenen Fahrzeug in Anspruch nehmen muss und ob ihm insoweit jetzt schon bestimmte Verhaltensweisen nach dem Unfall durch die AKB auferlegt waren. Jeder Versicherungsnehmer an der Stelle des Klägers hätte sich deshalb anhand der AKB informiert, welche Informationen er der Beklagten zukommen lassen musste, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Es steht der Annahme von Vorsatz deshalb nicht entgegen, sollte der Kläger die AKB anlässlich des Schadensfalls vor der Inangriffnahme der Reparatur nicht zur Kenntnis genommen haben. Denn der Kläger hätte sich bewusst einer Kenntnisnahme des Inhalts der Obliegenheiten verschlossen und damit vorsätzlich das unterlassen, was jedem Versicherungsnehmer eingeleuchtet hätte. Abgesehen davon gehört es zum Allgemeinwissen eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers, dass Versicherer, wenn sie auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen werden, regelmäßig eigene Feststellungen zum Eintritt des Versicherungsfalls und zum Umfang der möglicherweise berechtigten Entschädigungsleistung treffen wollen (KG, Hinweisbeschluss vom 12.12.2014 - 6 U 122/14 -, VersR 2015, 1247, Rdnr. 5 Zit. nach Juris). Er hat zumindest die Nichteinhaltung von Obliegenheiten billigend in Kauf genommen, was den Vorwurf des bedingten Vorsatzes rechtfertigt.

d) Dem Kläger gelingt auch der Kausalitätsgegenbeweis nicht, dass die Veränderung des Schadensbildes an seinem Fahrzeug keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles und den Umfang der geschuldeten Versicherungsleistung hatte. Der Bundesgerichtshof hat in drei jüngeren Entscheidungen, bei denen die Verletzung der Sachaufklärungsobliegenheit durch den Versicherungsnehmer jeweils dadurch begangen wurde, dass entgegen dem Verlangen des Vermögensschadenshaftpflichtversicherers die persönliche Stellungnahme einer Sachbearbeiterin zum Sachverhalt nicht beigebracht wurde, deren fehlerhafte Sachbearbeitung die Leistungspflicht der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung begründet haben soll, die Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung verneint (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014, - IV ZR 243/13 - zitiert nach juris: Rdnr. 21; - IV ZR 242/13 - zitiert nach juris: Rdnr. 24; - IV ZR 303/13 - zitiert nach juris: Rdnr. 34). Denn es stand nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht fest, ob und gegebenenfalls welche weiteren Erkenntnisse eine Befragung der Mitarbeiterin erbracht hätte, so dass nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich die Unterlassung auf die Möglichkeit zur Feststellung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat. Nicht anders liegt der Sachverhalt hier. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte bei einer Besichtigung des Fahrzeuges durch einen von ihr beauftragten Gutachter Erkenntnisse gewonnen hätte, die für die Feststellung des Versicherungsfalls, namentlich den genauen Schadensumfang und die Kausalität des Unfallereignisses für das S...

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