Leitsatz (amtlich)

Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV-RVG entsteht auch dann, wenn der vor dem 1. Juli 2017 mit der Verteidigung beauftragte oder zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt zunächst nur Tätigkeiten zu entfalten hatte, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe nach altem Recht (§§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F.) richteten.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 13.04.2018; Aktenzeichen (511 KLs) 255 Js 739/14 (11/17))

 

Tenor

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. April 2018 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Rechtsanwalt R... wurde dem Angeklagten B... mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2017 zum Pflichtverteidiger bestellt. Bereits im Ermittlungsverfahren hatte das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 in das Vermögen seines Mandanten einen dinglichen Arrest in Höhe von 418.851 Euro angeordnet. Dies geschah nach der seinerzeit geltenden Rechtslage gemäß §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F. "zur Sicherung der den Verletzten aus der Straftat erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche" (Rückgewinnungshilfe). Rechtsanwalt R... hat mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2017 beantragt, im Wege des Vorschusses neben verschiedenen Hauptverhandlungsgebühren für die Verteidigung des Angeklagten vor dem Landgericht auch eine Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG festzusetzen. Den Gegenstandswert hat er auf 418.000 Euro beziffert und dementsprechend einen Betrag von 447,- Euro zzgl. 84,93 Euro Umsatzsteuer (= 531,93 Euro) geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts hat die Vorschüsse mit Ausnahme der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG festgesetzt. Die Absetzung hat sie damit begründet, dass Tätigkeiten des Verteidigers, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe richteten, keinen Gebührenanspruch gemäß Nr. 4142 VV RVG auslösten. Auf die gegen die Absetzung der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass die Landeskasse dem Rechtsanwalt auf seinen Kostenfestsetzungsantrag eine weitere Vergütung von 531,93 Euro zu zahlen habe. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht, mit der sie einen Verstoß gegen § 60 RVG rügt. Das zulässig erhobene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Richtern, da das Landgericht die Entscheidung nach Übertragung des Verfahrens gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls in Dreierbesetzung getroffen hat.

2. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist im Ergebnis unbegründet. Rechtsanwalt R... steht die geltend gemachte Gebühr zu, da er für den Angeklagten Tätigkeiten entfaltet hat, die sich auf eine Einziehung beziehen.

a) Zutreffend ist allerdings die Ausgangsüberlegung der Beschwerde, wonach sich die Entscheidung (auch) danach richten muss, ob § 60 RVG anzuwenden ist. Soweit das Landgericht hierzu lediglich ausgeführt hat, es sei "der Anwendungsbereich von § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht eröffnet, da der Verteidiger nach altem Recht nicht etwa eine geringere, sondern überhaupt keine Gebühr hätte verlangen können", trifft dies nicht den Kern der Problematik.

Im Zeitpunkt der Bestellung des Rechtsanwalts R... zum Pflichtverteidiger am 3. Mai 2017, mithin vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, bestand in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass Tätigkeiten des Verteidigers, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F.) wenden, keinen Gebührenanspruch nach Nr. 4142 RVG auslösen (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 22. November 2006 - 2 Ws 614/06 -, StraFo 2007, 131; Senat, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 Ws 309-310/07 -, AGS 2009, 224 = StRR 2009, 154 mit zustimmender Anmerkung Burhoff = ZfS 2008, 647 mit zustimmender Anmerkung Hansens; OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017 - III-5 Ws 130/17 -, JurBüro 2017, 355; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Januar 2018 - 1 Ws 551/17 -, JurBüro 2018, 356; N. Schneider in AnwK-RVG 8. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 14; Hartmann, KostG 48. Aufl., RVG Nr. 4142 VV Rdn. 3; Kroiß in Mayer/Kroiß, RVG 7. Aufl., Nrn. 4141-4147 VV Rdn. 16; Kremer in Riedel/Sußbauer, RVG 10. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 5; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 8 [mit wohl distanzierendem Hinweis "nach früherer Auffassung"]; a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. April 2014 - 1 Ws 212/13 -, NStZ-RR 2014, 360; jeweils m. w. Nachw.)

Das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung (früh...

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