Leitsatz (amtlich)

1. Beim parallelen Abbiegen nach rechts spricht ein Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 StVO gegen den aus der linken Spur Abbiegenden, wenn dort keine die Markierungen vorhanden sind, die ebenfalls ein Abbiegen nach rechts anordnen.

2.Die Darlegungs- und Beweislast für das (rechtzeitige) Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers trägt der Abbiegende.

3. Die aus § 20 Abs. 5 StVO folgende Pflicht anderer Verkehrsteilnehmer, einem Linienbus das Abfahren von Haltestellen zu ermöglichen und notfalls zu warten, begründet für den Bus einen Vorrang vor dem Fließverkehr und nicht nur ein "Recht zur Behinderung". Die Regelung geht § 10 Satz 1 StVO vor.

4. Das Vorrecht entsteht aber erst mit dem Erfüllen der Pflichten aus § 10 Satz 2 StVO, ohne dass für die Verletzung der Pflichten ein Anscheinsbeweis gilt.

 

Normenkette

StVO § 9 Abs. 1, §§ 10, 20 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 44 O 76/17)

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des Zeugen M..., von dem Beklagten zu 1. als (Bus-) Fahrer und der Beklagten zu 2. als Halterin des Busses Zahlung von Schadenersatz wegen des Unfalls vom 29. Februar 2016 auf der Kreuzung Heerstraße/Sandstraße.

Der Zeuge sowie der Beklagte zu 1. fuhren auf der Heerstraße stadteinwärts. Der Beklagte zu 1. hielt vor der Kreuzung mit der Sandstraße an der dort befindlichen Haltestelle, um Fahrgäste aus- bzw. einsteigen zu lassen. Die stadteinwärts führende Fahrbahn der Heerstraße ist vor der Kreuzung zweispurig. Wegen der Linksabbieger beginnt etwa 60 m vor der Kreuzung ein weiterer (dritter) Fahrstreifen links und wegen der Haltestelle ein weiterer (vierter) Fahrstreifen rechts, die beide nach der Kreuzung in der dann für eine Richtung zweispurigen Heerstraße nicht fortgeführt werden.

Im Gegenverkehr stadtauswärts besteht gegenüberliegend an der Kreuzung die gleiche Sachlage, ohne dass die Haltestelle sich dort im Bereich des rechten Fahrstreifens befinden würde. Sie liegt vielmehr in dem dort (zunächst über etwa 60 m) fortgeführten (dritten) rechten Fahrstreifen auf der Straßenseite gegenüber der hier maßgeblichen Haltestelle.

Der Zeuge näherte sich von hinten auf dem rechten bzw. im Bereich der Haltestelle zweiten Fahrstreifen von rechts und wollte rechts in die Sandstraße abbiegen. Der Beklagte zu 1. fuhr zu dieser Zeit wieder an. Der Bus der Beklagten zu 2. wurde vorne links, der im Eigentum des Zeugen stehende Pkw an der hinteren rechten Fahrzeugseite beschädigt.

Einzelheiten des dem Unfall vorausgegangenen Geschehens sind zwischen den Parteien streitig, u.a. ob am Pkw oder dem Bus der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Hauptanträge vollständig (zu 1. bis 3.) sowie teilweise die Hilfsanträge (zu 1. und 2., nicht mehr zu 3.) sowie teilweise den Hilfshilfsantrag zum Hilfsantrag zu 2. weiter. Sie meint u.a. sinngemäß, der Zeuge hätte sich nicht vor dem Abbiegen rechts in den Fahrstreifen vor dem Bus einordnen müssen, und greift das Ergebnis der Beweisaufnahme an.

II. Der Senat wird die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen müssen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO). Hinweis und Fristsetzung beruhen auf § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen, weil der Klägerin gegen die Beklagten Schadenersatzansprüche aus abgetretenem Recht des Eigentümers (§ 398 BGB) wegen des Unfalls vom 29. Februar 2016 gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB nicht zustehen.

Bei der Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile des Zeugen M... und des Beklagten zu 1. nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG; §§ 9 StVG, 254 BGB sind lediglich ein der Klägerin anzurechnendes Verschulden des Zeugen M... sowie die Betriebsgefahren des Pkw des Zeugen M... sowie des Busses der Beklagten zu 2. zu berücksichtigen. Im Ergebnis der Abwägung hat der Zeuge M... seinen Schaden in vollem Umfang selbst zu tragen, weshalb der Klägerin ein abgetretener Schadenersatzanspruch nicht zusteht.

1. Das (Mit-) Verschulden sowie die (Mit-) Verursachung durch den Zeugen M... stehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und in großem Umfang schon auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin fest. Offenbar schätzte der Zeuge und schätzen die Klägerin sowie weiterhin der Zeuge die hier maßgebliche Rechtslage falsch ein.

a) Das Landgericht hat zu Recht zu Grunde gelegt, dass zulasten der Klägerin der Anscheinsbeweis (...

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