Rz. 15

Literatur und Gerichtspraxis halten einen Erbnachweis auch bei Offenkundigkeit für entbehrlich und schließen dies aus § 29 Abs. 1 S. 2 GBO.[23] Allerdings sind die Fälle, in denen die Offenkundigkeit rechtssicher bestehen soll, kaum auf einen Nenner zu bringen: Zum Nachweis der Nacherbfolge etwa soll die Sterbeurkunde des Vorerben selbst dann nicht genügen, wenn Nacherbe und Nacherbfallbedingung im Vorerbschein genannt sind. Andererseits soll, im Ergebnis zu Recht, eine eidesstattliche Versicherung über das Nichtvorhandensein weiterer Nacherben im Einzelfall verwendbar sein.

 

Rz. 16

Richtig ist eine Erbfolge nie offenkundig. Die Frage ist im Ansatz falsch gestellt. Es geht um eine teleologische Reduktion der Norm, die in die Beweisnotfälle zu § 29 GBO einzuordnen ist (vgl. § 29 GBO Rdn 37).

 

Rz. 17

§ 35 GBO gilt nicht, wenn während laufender Vorerbschaft die Nacherben ermittelt und in ihrer Person nachgewiesen werden müssen, so etwa bei einer erforderlichen Nacherbenzustimmung zu einer Verfügung des Vorerben oder bei Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Grundbuchamt kann die Angabe zum Nacherben im Erbschein des Vorerben (§ 352b FamFG) als Anhaltspunkt nehmen, obwohl sich die Vermutung des § 2365 BGB darauf nicht bezieht (str.) Ist der Nacherbe dennoch unbekannt (etwa wegen Beschreibung allein nach Verwandtschaft in einem notariellen Testament), darf das Grundbuchamt aber keinen "Nacherbschein" verlangen, sondern muss selbst ermitteln.

 

Rz. 18

Bei privatschriftlichen Testamenten sind alle Wirksamkeits- und Auslegungszweifel im Erbscheinsverfahren abzuhandeln. Hier stellt sich das Problem sowieso nicht.

 

Rz. 19

Die Fälle aus der Gerichtspraxis betreffen danach allein öffentliche Testamente, bei denen ein Nichteintritt von Wirksamkeitsbedingungen zusätzlich nachgewiesen werden muss oder in denen die nur als Gruppe beschriebenen Erben ("unsere Kinder") namentlich/individuell bezeichnet werden müssen. Jedenfalls die erste Kategorie ist aber einzuordnen als besonderer Beweisnotfall, da die testamentarisch verfügten Bedingungen häufig nicht durch öffentliche Urkunde nachgewiesen werden können. Die Fälle sind im Ergebnis von der herrschenden Meinung richtig entschieden, aber mit Offenkundigkeit hat das nichts zu tun.

 

Rz. 20

Dasselbe gilt für Negativ-Bedingungen, die nicht eingetreten sind, deren Eintritt aber – kraft Gesetzes oder aufgrund Verfügung von Todes wegen – die Erbfolge verändert hätte. Dies sind Nichtausübung eines Rücktrittrechts, Nichtgeltendmachung eines Pflichtteilsrechts bei Pflichtteilsstrafklauseln, Nichteinreichung des Scheidungsantrags. Auch das hat aber nichts mit Offenkundigkeit zu tun, sondern mit der Dogmatik des Abs. 1 S. 2 zur Frage, welche Auslegungsarbeit vom GBA verlangt werden kann.

[23] KEHE/Herrmann, § 35 GBR Rn 14; Demharter, § 35 Rn 8.

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