Rz. 115

Das GBA hat das Testament in eigener Verantwortung auszulegen, auch wenn es sich um die Klärung rechtlich schwieriger Fragen handelt.[210]

Bei der Auslegung ist zunächst der Erblasserwille zu erforschen. Diese Auslegung hat Priorität gegenüber Auslegungsregeln.[211] Bei der Auslegung sind auch andere, dem GBA vorliegende öffentliche Urkunden zu berücksichtigen.[212] Führt die konkrete (an der Urkunde ausgerichtete) Auslegung nicht zum Ziel, so sind die gesetzlichen Auslegungsregeln zu beachten und anzuwenden.[213]

Das GBA kann aber bzw. muss auch auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen, wenn die Auslegung an Feststellungen anknüpfen soll, die nicht durch öffentliche Urkunde (§ 29 GBO) belegt sind, etwa Zeugenbeweise o.Ä.[214]

 

Rz. 116

Es hat dabei jedoch zu beachten, dass die gesetzlichen Auslegungsregeln nur dann zur Anwendung kommen können, wenn bei Nachprüfung aller in Betracht kommenden Umstände auf andere Weise nicht zu lösende Zweifel bestehen.[215] Gelangt das GBA im Wege der Auslegung zu einer nach seiner Ansicht zweifelsfreien rechtlichen Folgerung, z.B. der Anordnung einer bedingten Erbfolge, welcher der Antragsteller widerspricht, so muss es einen Erbschein verlangen.[216] Das GBA kann auch auf Vorlage des Erbscheins bestehen, wenn die Auslegung nicht zu einem klaren Ergebnis führt.[217] Eine Auslegung gegen fachterminologischen Wortlaut kann vom GBA gleichfalls nicht verlangt werden.[218]

 

Rz. 117

Lässt bspw. die vorgelegte Urkunde Zweifel tatsächlicher Art an der Erbfolge offen, ob der Erblasser den Ehegatten zum Vollerben oder Vorerben hat einsetzen wollen, und reichen letztwillige Verfügungen und Eröffnungsprotokolle zum Beweis nicht aus, so tritt wieder der Grundsatz des Abs. 1 S. 1 in Kraft, wonach die Vorlage des Erbscheins zu verlangen ist. Damit werden auch die zur Auslegung notwendigen Ermittlungen in das Verfahren und an das Gericht verwiesen, wohin sie nach den vorhandenen Vorschriften gehören und ungehindert durch Formvorschriften vorgenommen werden können. Außerdem werden dadurch abweichende Ergebnisse zwischen GBA und Nachlassgericht vermieden.[219]

 

Rz. 118

Hat jedoch das GBA das Testament in einem bestimmten Sinne ausgelegt und diese Auslegung zur Grundlage der Eintragung gemacht, so darf es ohne neue Tatsachen von der Auslegung nicht wieder abweichen,[220] nur bei zwingenden Gründen, insbesondere bei Bekanntwerden neuer Tatsachen.[221]

[210] BayObLG Rpfleger 1970, 139; BayObLG Rpfleger 1983, 104; OLG Stuttgart Rpfleger 1975, 135; BayObLG BayObLGZ 1989, 9; OLG Köln Rpfleger 2000, 157.
[211] BayObLG Rpfleger 1982, 285.
[212] BayObLG Rpfleger 1995, 249 = DNotZ 1995, 308.
[213] OLG Stuttgart Rpfleger 1992, 154; Preißinger, Rpfleger 1992, 427; OLG Stuttgart Rpfleger 1992, 154.
[215] OLG Hamm MDR 1968, 1012 (für § 2269 BGB).
[216] OLG Stuttgart Rpfleger 1975, 135; OLG Düsseldorf FG Prax 2012, 240 = Rpfleger 2013, 22.
[217] Demharter, § 35 Rn 43; OLG Hamm NJW-RR 2016, 202 (zur Auslegung des Begriffs "Schlußerbe"). OLG Naumburg BeckRS 2019, 32092 – aber in der konkreten Subsumtion falsch, die vom Notar gewählte Formulierung war eindeutig; KG DNotZ 2020, 233.
[218] OLG Hamm RNotZ 2013, 633.
[219] OLG Hamm MDR 1968, 1012; OLG Hamm DNotZ 1972, 97.
[220] Demharter, § 35 Rn 43; OLG Schleswig SchlHA 1962, 174; OLG München NZFam 2017, 137.
[221] BayObLG Rpfleger 1982, 486.

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