Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge. Vollbeweis. unterschiedliche Diagnosesysteme ICD-10 und DSM-IV. neues Diagnosesystem DSM-V. Traumakriterium. zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion

 

Leitsatz (amtlich)

Das Diagnosesystem DSM-V verzichtet auf das nach DSM-IV bedeutsame A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis. Aus juristischer Sicht kann aber auch bei Anwendung von DSM-V nicht auf eine zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion verzichtet werden. Nach den Kausalitätskriterien in der gesetzlichen Unfallversicherung kommt einer solchen Reaktion vor allem bei minderschweren Ereignissen die Bedeutung als notwendiger Anknüpfungstatsache im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Unfallfolgen zu.

 

Orientierungssatz

Die Diagnosekriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung nach den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV sind unterschiedlich konzipiert und unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich des Traumakriteriums (sog A-Kriterium).

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. August 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis vom 25. März 2014 hinausgeht.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen der Folgen eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Am 21. Dezember 2006 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall. Er war als Beifahrer seines PKW unterwegs, als ein entgegenkommender PKW plötzlich auf die Fahrspur des Klägers wechselte und frontal mit dem zu diesem Zeitpunkt stehenden Fahrzeug des Klägers kollidierte. Im Rahmen der durchgangsärztlichen Untersuchung (Dr. E., Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Klinikum H.) am Unfalltag gab der Kläger an, es habe keine Bewusstlosigkeit, keine Übelkeit und kein Erbrechen vorgelegen. Er habe sich wohl mit der linken Hand abgestützt. Es wurden eine Subluxation des Mittelgelenks des 5. Fingers links und eine Rippenprellung links diagnostiziert, eine interabdominale Blutung konnte ausgeschlossen werden. Eine Nachuntersuchung am 22. Dezember 2006 ergab eine Basisfraktur im Endglied des linken Kleinfingers mit dorsalseitiger Luxationsstellung. Die Weiterbehandlung wegen der Verletzung im Bereich der linken Hand erfolgte durch Dr. F. (16. Januar 2007) und Dr. G. (17. Januar 2007, 1. März 2007).

Am 2. April 2007 stellte sich der Kläger erneut bei dem Orthopäden Dr. G. vor (Bericht vom 23. April 2007) und gab dort an, er habe Angstzustände bezüglich des Autofahrens und leide seit dem Unfall unter Schlaflosigkeit. Bereits einem Bericht des Orthopäden vom 22. März 2007 war zu entnehmen, dass der Kläger Angst vor dem Autofahren habe.

Im Rahmen ihrer Ermittlungen holte die Beklagte einen ausführlichen psychiatrisch-neurologischen Befundbericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. ein, der unter dem 15. Juni 2007 mitteilte, dass bei dem Kläger seit dem Unfall eine das Führen eines PKW betreffende erhöhte Angstbereitschaft sowie eine leichtgradige depressive Verstimmung bestünden. Vom Vorliegen einer schweren psychoreaktiven Störung etwa im Sinne einer posttraumatischen Belastungsreaktion sei nicht auszugehen. Gleichzeitig riet er zur Einholung eines psychiatrischen Zusammenhangsgutachtens. Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die Psychotherapeutin Dr. J. unter dem 23. Juli 2007 mit, der Kläger befinde sich in ihrer Behandlung, jedoch nicht wegen seines Unfalls. Dies sei die Eingangsdiagnose gewesen; die durch sie durchgeführte Diagnostik habe u.a. zu der Diagnose 45.38 (Somatoforme autonome Funktionsstörung - Sonstige Organe und Systeme) geführt.

Anschließend gab die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Zusammenhangsgutachten bei dem Sachverständigen Prof. Dr. K., H.-Klinik I in B., in Auftrag, das dieser unter dem 15. April 2008 erstattete. Darin kam der Sachverständige zu dem Schluss, der Kläger leide an einer leichtgradigen depressiven Anpassungsstörung (F32.1 ICD-10) sowie einer leichten Angststörung. Es bestehe ein Grad der Behinderung (gemeint wohl: Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 10 %.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M. führte in seiner anschließenden nervenfachärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2008 aus, dass er die depressive Anpassungsstörung sowie die hierunter zu subsumierende Angstbereitschaft des Klägers als unfallbedingt ansehe. Eine MdE von 10 v.H. liege im oberen Bereich des Ermessensspielraums.

Vom 10. März bis 21. April 2009 absolvierte der Kläger einen stationären Aufenthalt in der V.-Klinik, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Im Entlassungsbericht vom 11. Mai 2009 lauteten die Aufnahmediagnosen u.a. "subsyndromales PTSD nach Verkehrsunfall 2006" (F43.1) und schwere depressive Episode (F32.2).

Unter dem 7. Augus...

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