Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 30.11.1995; Aktenzeichen S-17/An-908/92)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.12.1997; Aktenzeichen 4 RA 56/96)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. November 1995 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig der Anspruch der Klägerin auf ungekürzte Anrechnung einer in Polen zurückgelegten Beschäftigungszeit vom 1. Februar 1955 bis 15. November 1961.

Die am 20. April 1939 geborene Klägerin hat ihren ständigen Wohnsitz und Aufenthaltsort seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist im Besitz des Vertriebenenausweises „A”.

Wegen einer seit 1989 bestehenden Arbeitsunfähigkeit beantragte die Klägerin am 5. Februar 1990 eine medizinische Maßnahme zur Rehabilitation, die ihr die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1990 bewilligte. Nach dem Entlassungsbericht der S.-Klinik B. vom 6. November 1990 (Heilverfahren vom 4. September bis 16. Oktober 1990) wurde die Klägerin als arbeitsunfähig entlassen.

Am 26. März 1991 beantragte die Klägerin Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 1. November 1991 gewährte die Beklagte Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit für den Zeitraum vom 17. Oktober 1990 bis 30. September 1993. Die streitigen Zeiträume wurden nach dem Versicherungsverlauf nur zu 5/6 angerechnet.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27. November 1991 Widerspruch. Am 24. März 1992 und 6. April 1992 ergingen Neufeststellungsbescheide. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1992 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. August 1992 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Bescheid vom 2. Juli 1993 gewährte die Beklagte der Klägerin Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Die Versichertenrente wurde mit Bescheiden vom 2. September 1994, 23. Dezember 1994 und 11. Januar 1995 neu festgestellt. Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe bereits ab dem 1. Februar 1990, also vor Inkrafttreten der Neuregelung in Art. 20 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 Anspruch auf Rente gehabt, da sie schon bei Abschluß der Reha-Maßnahme erwerbsunfähig gewesen sei und deshalb der Reha-Antrag als Rentenantrag zu werten sei. Auch die Beklagte gehe von einem Versicherungsfall ab 5. Februar 1990 aus. Es habe also grundsätzlich ein Anspruch auf Übergangsgeld ab Zeitpunkt des Reha-Antrags bestanden. Ein Anspruch auf Rente bestehe nur deshalb nicht, weil der Übergangsgeldanspruch dies ausschließe. Da es jedoch nicht auf die Bezeichnung der Leistung als Übergangsgeld oder Rente ankomme, sondern auf den Leistungsgrund, sei die Rentenberechnungssumme zum Stichtag 1. Februar 1990 – nach der alten Rechtslage – als ungekürzte Anrechnung der polnischen Beschäftigungszeiten vorzunehmen. Demgegenüber ist die Beklagte der Auffassung, Übergangsgeld und Rente stellten unterschiedliche Leistungen dar. Die Rentenberechnung müsse auf der Grundlage des Rechts vorgenommen werden, das zu Beginn des Anspruchs auf Rentenleistung gelte, also nach dem ab 1. Juli 1990 gültigen Recht, da vorher lediglich ein Anspruch auf Übergangsgeld bestanden habe.

Mit Urteil vom 30. November 1995 hat das Sozialgericht Gießen die Beklagte entsprechend dem Klageantrag der Klägerin verurteilt. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Nach der bis 30. Juni 1990 gültigen Fassung des Fremdrentengesetzes (FRG) seien Zeiten eines ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnisses von mindestens 10-jähriger Dauer bei dem selben Arbeitgeber in vollem Umfange anzurechnen. Nach der ab 1. Juli 1990 gültigen Fassung des FRG seien grundsätzlich alle Zeiten, die nicht in vollem Umfang nachgewiesen sind, nur noch zu 5/6 anzurechnen.

Bei der Klägerin sei jedoch die bis zum 30. Juni 1990 gültige Fassung des FRG anzuwenden, da sie vor dem 1. Juli 1990 bereits einen Anspruch auf Rente gehabt habe. Bei Stellung des Reha-Antrags am 5. Februar 1990 seien alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt gewesen. Tatsächlich habe die Klägerin jedoch aufgrund des ursprünglich auf Rehabilitation gerichteten Antrags Übergangsgeld anstatt Rente erhalten. Dieser bereits vor dem 1. Juli 1990 bestehende Anspruch auf Übergangsgeld sei nach Auffassung der Kammer jedoch gleichzusetzen mit dem „Anspruch auf Zahlung einer Rente” im Sinne des Art. 6 § 4 Abs. 2 Satz 1 FANG, denn beide Ansprüche basierten auf dem gleichen Rechtsgrund „Erwerbsunfähigkeit” und hätten den Charakter von Lohnersatzleistungen.

Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 12. Januar 1996 zugestellte Urteil hat sie am 8. Februar 1996 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, daß der Anspruch auf Zahlung eines Übergangsgeldes anders zu bewerten ist als der Anspruch auf Zahlung einer Rente.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. November 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen...

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