Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung. Beitragsforderung. Betriebsprüfung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verwirkung einer Beitragsforderung setzt voraus, dass die Beitragsberechtigten die Ausübung ihres Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen haben und dass der Verpflichtete zudem aufgrund eines konkreten Verhaltens des Forderungsberechtigten darauf vertrauen durfte und auch tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr besteht oder nicht mehr geltend gemacht wird, so dass die verspätete Geltendmachung ihm gegenüber als illoyal und nicht zumutbar erscheinen würde.

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 28h Abs. 2 S. 1, §§ 28g, 28r, 28p; SGB VI § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 1; SGB X §§ 48, 45, 43 Abs. 3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 20.06.2000; Aktenzeichen S 6 KR 708/98)

 

Tenor

  • Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. Juni 1996 und vom 21. August 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1998 aufgehoben, soweit in diesen Bescheiden Beiträge in Höhe von 12.202,28 DM (6.238,90 EUR) für den Beigeladenen zu 1. nachgefordert worden sind. Der Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 23. Oktober 1997 wird aufgehoben.
  • Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
  • Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte für den Zeitraum vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 von der Klägerin Beiträge für den Beigeladenen zu 1. aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachfordern darf.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Bauunternehmen, bei dem der Beigeladene zu 1. bis zum 31. August 1992 als Bauleiter beschäftigt gewesen ist. Neben seiner Tätigkeit als Bauleiter bei der Klägerin war der Beigeladene zu 1. bei der Firma S.… GmbH als Geschäftsführer tätig. Mit Schreiben vom 31. Juli 1992 wandte sich die Klägerin an die Krankenkasse des Beigeladenen zu 1., die Beigeladene zu 4., und gab an, der überwiegende Arbeitseinsatz des Beigeladenen zu 1. werde fortan als Geschäftsführer in der Firma S.… GmbH sein. Daraus ergäben sich Verschiebungen der Gehaltsbezüge. Das Gehalt des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin “solle” ab August 1992 statt bisher 6.300,00 DM nur noch 3.000,00 DM betragen; aus der S.… GmbH “solle” der Beigeladene zu 1. statt bisher 3.000,00 DM ab August 1992 6.300,00 DM erhalten. Die Beigeladene zu 4. wurde gebeten, mitzuteilen, ob das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen bei der Klägerin überhaupt sozialversicherungspflichtig sei, und schriftlich zu bestätigen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer der Firma S.… GmbH weder der Rentenversicherungspflicht noch der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterliege. Das Schreiben der Klägerin enthält einen handschriftlichen Vermerk vom 11. August 1992 mit dem Inhalt: “Beschäftigung bei der Firma R.… A.… ist nicht versicherungspflichtig S.… GmbH = selbständige Tätigkeit”. Mit Schreiben vom 13. August 1992 teilte die Beigeladene zu 4. dem Beigeladenen zu 1. mit, sie habe aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen das Versicherungsverhältnis ab 1. August 1992 überprüft. Die Prüfung habe ergeben, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. für die Firma S.… GmbH um eine selbständige Erwerbstätigkeit handele; aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin bestehe “keine Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung”.

Der Beigeladene zu 1. versicherte sich in der Folgezeit in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung freiwillig. Die Abrechnung seiner Zahlungen von der Klägerin erfolgte wie bis zum 31. August 1992 weiterhin über ein Lohnkonto nach DATEV mit monatlichen Gehaltszahlungen. In seinen Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 1992 und 1993 sind nur Einkünfte des Beigeladenen zu 1. aus “nicht selbständiger Arbeit” versteuert.

Aufgrund einer Betriebsprüfung, die den Prüfzeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1995 umfasste, stellte die Beklagte mit ihren Bescheiden vom 13. Juni 1996 und vom 21. August 1997 hinsichtlich der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 fest, da durch die abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin 1/6 des Gesamteinkommens überschritten werde. Nach dem Prüfbericht lag der monatliche Verdienst des Beigeladenen zu 1. in den Monaten September bis Dezember 1992 bei 4.079,24 DM und in dem Zeitraum Januar bis Mai 1993 bei 4.117,92 DM. Insgesamt forderte die Beklagte für den Beigeladenen zu 1. von der Klägerin Beiträge in Höhe von 12.202,28 DM nach.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Bei...

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