Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. sonstige Leistungen. Unerlässlichkeit zur Sicherung der Gesundheit. antivirale Therapie bei Hepatitis C. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Wegen Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG sind die Tatbestandsmerkmale der Unerlässlichkeit und der Sicherung der Gesundheit in § 6 Abs 1 S 1 Alt 2 AsylbLG weit auszulegen. Hinreichend ist die Erforderlichkeit zur Sicherung der Gesundheit im Sinne eines Behandlungsbedarfs, der über Bagatellerkrankungen hinausgeht. Geboten ist dann zumindest bei Personen, die sich nicht nur kurzzeitig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, die medizinische Versorgung mit allen Leistungen nach §§ 47 ff SGB XII bzw nach dem SGB V.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 18. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auch die notwendigen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten einer antiviralen Hepatitis C-Therapie nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

Der 1964 geborene Antragsteller, der nach seinen Angaben aus Aserbaidschan stammt und staatenlos ist, reiste Anfang Dezember 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau aus den Niederlanden kommend und ohne im Besitz eines Passes, Passersatzes oder Aufenthaltstitels zu sein, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 9. Dezember 2015 wandten sich der Antragsteller und seine Ehefrau an das Sozialamt in B-Stadt und beantragten dort die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Weiterhin beantragten der Antragsteller und seine Ehefrau bei der Ausländerbehörde B-Stadt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen und ausdrücklich kein Asyl (vgl. auch Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers und seiner Ehefrau vom 21. Juli 2016, Bl. 22 der Leistungsakte des Antragsgegners).

Nachdem der Antragsteller und seine Ehefrau mit Verteilungsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 13. Mai 2016 der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen zugewiesen wurden und mit Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt zum 18. Juli 2016 dem Landkreis F... zugewiesen wurden, beantragten beide dort am 18. Juli 2016 die Gewährung von Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 AsylbLG. Dem Antragsteller und seine Ehefrau, welche über keinen eigenen Krankenversicherungsschutz verfügen, wurden und werden Leistungen nach §§ 3, 4 AsylbLG gewährt. Die Ausländerbehörde des Landkreises F... erteilte dem Antragsteller und seiner Ehefrau fortan befristete Duldungen, welche jeweils verlängert wurden. Aktuell wurde die Abschiebung des Antragstellers und seiner Ehefrau bis zum 6. September 2018 ausgesetzt und erneut entsprechende Duldungen erteilt (Bl. 48 d.A.).

Ende Oktober 2016 legte der Antragsteller dem Antragsgegner einen Befundbericht der Internistisch-gastroenterologischen Gemeinschaftspraxis Dr. C. und Dr. D. vom 26. Oktober 2016 vor, mit dem u.a. eine biochemisch mäßig aktive chronische Hepatitis C-Infektion diagnostiziert wurde. Im Befundbericht wurde auf den ausgeprägten Therapiewunsch des Antragstellers hingewiesen und u.a. zur Abklärung, ob eine hinreichende Adhärenz gegeben ist, die Einholung einer Zweitmeinung empfohlen. In seinem Gutachten vom 20. Februar 2018 führte der Chefarzt der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie im H...-Krankenhaus F... gGmbH, Prof. Dr. E., unter anderem aus, dass bei dem Antragsteller eine chronische Hepatitis C-Infektion Genotyp 3A vorliege. Sichere Zirrhosezeichen fänden sich sonographisch nicht. Elastographisch zeige sich eine Verminderung der Elastizität, was in dem Bereich einer F1-F2 Fibrose liege. Der maximal gemessene Wert liege im Bereich einer F3-Fibrose. Es bestehe eine "klare Indikation" zu einer antiviralen Therapie, mit neuen antiviralen Medikamenten bestehe eine Heilungschance von 90 %. Weiterhin bestehe ein Zustand nach Rektumkarzinom. Der Antragsteller sei 2013 in den Niederlanden operiert worden. Postoperativ habe der Antragsteller ein Stadium 2, was einer 5-Jahresüberlebensrate von 60 % bis 80 % entspreche.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2016 lehnte der Antragsgegner nach vorheriger Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme seines Gesundheitsamtes den Antrag auf Kostenübernahme für die Durchführung einer Therapie der chronischen Hepatitis C-Erkrankung mit der Begründung ab, dass weder die Voraussetzungen des § 4 AsylbLG noch die Voraussetzungen des § 6 AsylbLG erfüllt seien.

Gegen die Ablehnung der Kostenübernahme für die antivirale Therapie legte der Antragsteller am 4. Januar 2017 Widerspruch ein.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 4. September 2017 ließ der Antragsteller eine fachärztliche Bescheinigung seines behandelnden Hausarztes und Internisten vom 31. Juli 2017 vorlegen. In dieser Bescheinigung wird - nach einem zunächst vorzunehmenden Tumorst...

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