Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der erstmaligen Berufung auf das SokaSiG in der Berufungsinstanz. Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern im Bürgenprozess. Zulässigkeit der Begründung der geltend gemachten Ansprüche nach dem SokaSiG durch den Kläger und Berufungsbeklagten nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist. Teilnahme eines elektrische oder pneumatische Antriebe für Rauchwärmeabzugsanlagen montierenden Betriebes am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beruft sich der Kläger in der Rechtsmittelinstanz auf das SokaSiG, liegt eine Klageänderung vor. Die Beschwer für die Berufung fehlt nicht, wenn sich der Kläger in erster Linie nunmehr auf das SokaSiG beruft. Dies folgt aus den Besonderheiten des Gesetzes.

2. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, wenn die Parteien bei einem Bürgenprozess darüber streiten, ob bei dem Hauptschuldner Arbeitnehmer illegal beschäftigt wurden.

 

Normenkette

SokaSiG § 7 Abs. 6, § 12; AEntG §§ 14, 8 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 611a; ZPO § 287 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 30.06.2016; Aktenzeichen 5 Ca 1988/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 30. Juni 2016 - 5 Ca 1988/15 - abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, wie Gesamtschuldner an den Kläger 16.691,12 EUR (in Worten: Sechzehntausendsechshunderteinundneunzig und 12/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten wie Gesamtschuldner zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, als Bürgin nach § 14 AEntG Beiträge zum Sozialkassenverfahren des Baugewerbes zu zahlen.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt er die Bauarbeitgeber auf Zahlung der tariflich vorgesehenen Beiträge in Anspruch.

Im vorliegenden Fall nimmt er die Beklagte zu 1. als Bürgin für Beitragsansprüche der "A" in dem Zeitraum April 2012 bis Juli 2012 in Höhe von 16.691,12 Euro nebst Zinsen in Anspruch. Hinsichtlich der genauen Berechnung der Klageforderung wird auf die Anl. K2 verwiesen (Bl. 33 - 35 der Akte).

Die Beklagte zu 1. ist ein in der Baubranche tätiges Unternehmen, die Beklagte zu 2. ist die Komplementärin der Beklagten zu 1.

Die Beklagte zu 1. beauftragte im Kalenderjahr 2012 die "A" (im Folgenden auch kurz: B) mit der Ausführung von Bauarbeiten auf der Baustelle "Berufsschule C". Die hierbei anfallenden Abbruch- Umbau -und Betonierarbeiten wurden in dem Zeitraum 9. April bis 18. Juli 2012 ausgeführt.

Herr D, der der deutschen Sprache mächtig ist, war Gesellschafter der B zusammen mit weiteren bulgarischen Staatsangehörigen. Er verfügte über das Firmenkonto und kümmerte sich um die Aufträge. Die anderen bulgarischen Staatsangehörigen verfügten z.T. über Gewerbeanmeldungen in Deutschland. Für diese Personengruppe wurden keine Beiträge an den Kläger entrichtet.

Gegen Herrn D wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Arbeitsgenehmigung durch das Hauptzollamt Regensburg (HZA) eingeleitet. Es erfolgte eine Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Herrn D und es wurden Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Schlussberichts des HZA vom 21. Januar 2013 wird verwiesen auf Bl. 23 - 32 der Akte.

Herr D ist aufgrund des Strafbefehls des Amtsgerichts Hof vom 13. Dezember 2013 - 9 Cs 143 Js 9209/12 - wegen Steuerhinterziehung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt nach §§ 370 Abs. 2 Nr. 2 AO und 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB zu einer Gesamtfreiheitstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Dabei wurde zugrunde gelegt, dass es sich um eine zum Schein gegründete GbR handelte und die bulgarischen Staatsangehörigen in Wirklichkeit Arbeitnehmer waren. Der Strafbefehl ist seit dem 3. Januar 2014 rechtskräftig. Wegen der Einzelheiten des Strafbefehls wird verwiesen auf Bl. 4 - 10 der Akte.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2014 wurden die Beklagten erfolglos außergerichtlich zur Zahlung aufgefordert.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die beiden Beklagten für die Beiträge des Herrn D als Arbeitgeber haften müssten. Bei der GbR handele es sich in Wirklichkeit um eine Scheingesellschaft. Arbeitgeber sei der D gewesen. Die übrigen "Gesellschafter" seien abhängig beschäftigte Arbeitnehmer gewesen. Herr D habe die Arbeitnehmer in Bulgarien für die Erbringung von Bauarbeiten in Deutschland angeworben. Er habe den Transport nach Deutschland organisiert und sich auch um die Unterkünfte der Arbeitnehmer gekümmert. Sämtliche von ihm beschäftigten Arbeitnehmer seien unter derselben Adresse untergebracht gewesen, nämlich xxxx. Der auf der Baustelle anwesende...

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