Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßige Anspruchnahme des Bürgen nach § 14 AEntG. Zulässigkeit der rückwirkenden Anwendung des SoKaSiG. Neues Vorbringen in der Berufung (hier SoKaSiG als Anspruchsgrundlage) als Klageänderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beruft sich der Kläger in der Rechtsmittelinstanz auf das SokaSiG, liegt eine Klageänderung vor. Die Beschwer für die Berufung fehlt nicht, wenn sich der Kläger in erster Linie nunmehr auf das SokaSiG beruft. Dies folgt aus den Besonderheiten des Gesetzes.

2. Der Kläger ist befugt, seiner Beitragsklage gegen den Bürgen die Meldungen nach § 6 VTV des Hauptschuldners oder die Meldungen nach § 18 AEntG zugrunde zu legen. Die Höhe der geschuldeten Beiträge ist dann ggf. nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen.

 

Normenkette

SokaSiG § 7 Abs. 7, § 12; AEntG §§ 14, 8 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 18; ZPO § 287; BGB § 213; ZPO § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 09.05.2017; Aktenzeichen 1 Ca 365/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 9. Mai 2017 – 1 Ca 365/15 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.239,11 EUR (in Worten: Achttausendzweihundertneununddreißig und 11/100 Euro) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 83 % und die Beklagte 17 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 15 % und die Beklagte 85 % zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte als Bürgin nach § 14 AEntG für Beiträge eines beauftragten slowakischen Bauunternehmens im Jahr 2011 haftet.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt er die Bauarbeitgeber auf Zahlung der tariflich vorgesehenen Beiträge in Anspruch.

Die Beklagte ist ein in der Baubranche tätiges Unternehmen. Sie beauftragte das slowakische Bauunternehmen A s.r.o. (kurz: A) mit der Erbringung von Rohbau- und Putzarbeiten auf den Baustellen „B“ sowie „C“. Wegen der zur Akte gereichten Meldungen nach § 18 AEntG der Fa. A wird verwiesen auf Bl. 58 - 67 der Akte. Daraus ist ersichtlich, dass Arbeitnehmer frühestens ab dem 26. August 2011 in Deutschland auf der Baustelle „B“ eingesetzt werden sollten.

Nach einer teilweisen Klagerücknahme hat der Kläger für die beiden oben bezeichneten Baustellen in dem Zeitraum August 2011 bis November 2011 gegenüber der Beklagten einen Beitragsanspruch in Höhe von zuletzt 9.666,86 Euro geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten der Berechnung, insbesondere hinsichtlich der auf den jeweiligen Baustellen eingesetzten Arbeitnehmer, wird verwiesen auf die Anlage K3, Bl. 30 und 31 der Akte.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - sowie - 10 ABR 48/15 - entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen (kurz: AVE) 2008 und 2010 sowie die AVE 2014 des VTV unwirksam sind. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE 2012 und 2013 unwirksam sind.

Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) verabschiedet. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE „gelten“ soll.

Der Kläger hat gemeint, er habe das Beitragsbegehren hinreichend schlüssig dargelegt. Er habe nämlich angegeben, für welche Arbeitnehmer er bezüglich welcher Baustelle welche Beiträge einfordere. Bezüglich der beiden zuletzt noch im Streit verbliebenen Baustellen habe die Beklagte eingeräumt, dass die Fa. A für sie tätig geworden sei. Die Fa. A habe für die Monate September bis November 2011 eigene Bruttolohnmeldungen ihm gegenüber abgegeben (Bl. 51 ff. der Akte).

Der Kläger hat - nach teilweiser Klagerücknahme - den Antrag gestellt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.666,86 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Anspruch unberechtigt sei. Zutreffend sei allerdings, dass die Fa. A im Zeitraum 5. September bis 23. September 2011 für die Beklagte auf der Baustelle C tätig war. Die gesamte Auftragssumme habe 3.809,55 Euro betragen. Es sei daher überzogen, wenn der Kläger für diesen Zeitraum von einem Volumen von 8.500 Euro ausgeht. Es werde bestritten, dass die namentlich genannten Arbeiter Leistungen, die die Beklagte dem Bau...

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