Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verlassens des Werksgeländes während der Arbeitszeit ohne Dokumentation bzw. unter Überziehung einer Pause

 

Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Arbeitnehmers.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat ein Arbeitnehmer wiederholt entweder die festgesetzten Pausen überzogen oder ohne Dokumentation in der Arbeitszeiterfassung das Werksgelände verlassen, um eine Gaststätte aufzusuchen, so ist dieses Verhalten an sich ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Jedoch spricht innerhalb der anzustellenden Abwägung ausnahmsweise für den Arbeitnehmer, dass er die Verstöße eingeräumt und sich ernsthaft zu einer Therapie seiner bestehenden Alkoholerkrankung bereit erklärt hat. Das gilt insbesondere dann, wenn er sein ganzes bisheriges Arbeitsleben unbeanstandet bei demselben Arbeitgeber verbracht hat.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 30.06.2016; Aktenzeichen 10 Ca 36/16)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 30. Juni 2016, 10 Ca 36/16, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte erklärte, nachdem der Kläger wiederholt während der Arbeitszeit, unter Überziehung seiner Pause bzw. ohne Dokumentation durch Betätigung der Arbeitszeiterfassung das Werksgelände verließ, um eine dem Werkstor 20 gegenüberliegende Gaststätte aufzusuchen, wobei er zur Fahrt bis zum Werkstor Firmenwagen nutzte, hierbei zum Teil auch Prototypen. Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 74 bis 76 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat der Klage durch am 30. Juni 2016 verkündetes Urteil, 10 Ca 36/16, stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar liege ein Sachverhalt vor, der typischerweise als Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung geeignet sei. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Kläger habe gegen diese Pflicht verstoßen, wobei es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung ankomme, sondern darauf, dass der Kläger mit seinem Verhalten bei der Beklagten den Eindruck erweckt habe, er habe während der gesamten in der Arbeitszeitdokumentation festgehaltenen Arbeitszeit vergütungspflichtige Arbeitsleistungen erbracht. Eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und eine Abwägung der Interessen beider Vertragsteile ergäben hier jedoch, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zugemutet werden könne. Ausschlaggebend hierfür seien vor allem der ca. dreißigjährige und bisher störungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses, die zu hoher sozialer Schutzbedürftigkeit des Klägers führenden Sozialdaten sowie der Umstand, dass ungeachtet der Schwere der Pflichtverletzung des Klägers für das Arbeitsverhältnis eine positive Prognose bestehe. Der Kläger habe nicht versucht, sein Verhalten zu vertuschen. Bei ihm bestehe eine Alkoholabhängigkeit, wobei er seinen Willen dokumentiert und umgesetzt habe, diese zu bekämpfen und hierfür eine positive Prognose bestehe, so dass es zu Störungen des Arbeitsverhältnisses deshalb nicht mehr kommen werde. Das Verlassen des Arbeitsplatzes zwischen dem 16. Dezember 2015 und dem 14. Januar 2016 sei auch nach der nicht widerlegten Darstellung des Klägers in allen Fällen geschehen, um die nahe dem Betriebsgelände gelegene Gaststätte A Grill aufzusuchen und dort Alkohol zu trinken. Aus denselben Gründen sei auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt. Infolge Unwirksamkeit der Kündigung stehe dem Kläger auch mangels entgegenstehender überwiegender Interessen der Beklagten der vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 76 bis 79 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 29. Juli 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. August 2016 Berufung eingelegt und diese nach aufgrund am 22. September 2016 eingegangenen Antrags vom 20. September 2016 erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 31. Oktober 2016 am 31. Oktober 2016 begründet.

Sie führt aus, die angefochtene Entscheidung gehe insoweit von einer falschen Tatsachengrundlage aus, als es zu einer positiven Prognose gelange. Es sei falsch, dass der Kläger nicht versucht habe, sein Verhalten zu...

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