Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Fahrradlieferanten auf Erhalt eines internetfähigen Diensthandys durch Arbeitgeber. Zulässigkeit individueller Absprachen über Verpflichtungen des Arbeitnehmers zur Selbstbeschaffung von Arbeitsmitteln. Unzumutbare Benachteiligung des Arbeitnehmers durch AGB-Regelung zur Anschaffung von Arbeitsmitteln auf eigene Kosten

 

Leitsatz (amtlich)

Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke an Kunden ausliefern, haben gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Stellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Mobiltelefons zur dienstlichen Nutzung, wenn der Arbeitsvertrag nicht wirksam etwas Abweichendes regelt. Der Anspruch folgt aus §§ 611 a, 615 S. 3, 618 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Anerkennung eines tatsächlichen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers kann dieser den Anspruch auf Stellung der zwingend zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel einklagen und kann nicht auf Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verwiesen werden. Die Pflicht, ohne finanziellen Ausgleich zwingend notwendige Arbeitmittel von einigem Wert selbst stellen zu müssen, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht wirksam begründet werden. Eine solche Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 615 S. 3, §§ 618, 307; ZPO § 97

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.01.2020; Aktenzeichen 2 Ca 5722/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Januar 2020 - 2 Ca 5722/19 - abgeändert und

die Beklagte verurteilt, dem Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein internetfähiges Mobilfunkgerät mit einem Datennutzungsvertrag mit 2 GB Datenvolumen monatlich zur Verfügung zu stellen;

die Beklagte verurteilt, dem Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen.

Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 13 % und die Beklagte 87 % zu tragen. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten auch in der Berufungsinstanz noch darum, ob die Beklagte dem Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit einem Datennutzungsvertrag zur Verfügung stellen muss.

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 13. Dezember 2016 als Fahrradlieferant beschäftigt und liefert als solcher Speisen und Getränke für die Beklagte aus, wobei ihm die Einsatzpläne und die Adressen der Restaurants, von denen er eine Lieferung ausfahren soll ebenso wie die Kundenadressen per A App auf sein Smartphone mitgeteilt werden. Laut vom Kläger vorgelegter Beschreibung der App im Google Play Store verbraucht diese üblicherweise bis zu 2 GB Datenvolumen pro Monat.

Der Kläger nutzt für seine Tätigkeit sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten war zunächst befristet, ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde insofern nicht zur Akte gereicht. Unter dem 11. März 2017 schlossen der Kläger und die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen im Rechtstreit von den Parteien als „Pfandvertrag“ bezeichneten Vertrag über die Überlassung von Arbeitsmaterialien an den Kläger, bei dem der Kläger die Überlassung bestimmter Gegenstände durch den Arbeitgeber bestätigt hat und die Einbehaltung eines Pfands von 100 € zur Absicherung der Rückgabe vereinbart wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 91 der Akte Bezug genommen.

Am 10. Dezember 2018/11. Januar 2019 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag, der in § 2 Abs. 3 folgendes geregelt:

„Dem Arbeitnehmer wird ausschließlich für den Einsatz während der Schichten Equipment von B gestellt, die Art des Equipments ist im Pfandvertrag geregelt. Dafür wird ein Pfand vom Arbeitgeber einbehalten. Das Equipment ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugeben.“

§ 17 Abs. 2 lautet:

„Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertragsverhältnisses bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch ausdrücklich für die Änderung oder Aufhebung der Schriftformklausel selbst. Ausgeschlossen sind damit insbesondere Vertragsänderungen durch betriebliche Übung.“

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 29. Januar 2020 abgewiesen. Es hat angenommen, die Parteien hätten zumindest konkludent die Vereinbarung getroffen, dass der Kläger die Betriebsmittel in Form eines Fahrrads und eines Mobiltelefons selbst und auf eigene Kosten stellen ...

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