Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Bürgenhaftung bei sogenannten "Nachunternehmerketten". Maßgebliches Urlaubsrecht bei der Inanspruchnahme eines slowenischen Unternehmens

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 14 AEntG i.V.m. § 12 SokaSiG erfasst auch die Bürgenhaftung bei sog. “Nachunternehmerketten„.

2. Das Günstigkeitsprinzip steht der Inanspruchnahme von slowenischen Unternehmen nach § 8 Abs. 1 AEntG nicht entgegen. Denn das deutsche Urlaubsrecht in der Baubranche ist günstiger als das slowenische Urlaubsrecht.

3. Zur Frage, wann die ULAK im Wege einer Schätzung von einer Verteilung ausgehen darf, dass mindestens zu 50 % Fachkräfte, die nach der Lohngruppe 2 im Baugewerbe zu vergüten sind, eingesetzt waren (hier bejaht bei Rohbau- und Hochbauarbeiten).

4. Der Kläger muss keine Anschlussberufung erklären, wenn er die Klageforderung teilweise für erledigt erklären will.

 

Normenkette

SokaSiG §§ 7, 12; AEntG §§ 14, 8 Abs. 1, § 4 Nr. 1, § 6 Abs. 2; ZPO §§ 286, 287 Abs. 2, § 264 Nr. 2, § 524

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 28.09.2017; Aktenzeichen 4 Ca 2014/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.06.2020; Aktenzeichen 10 AZR 464/18)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. September 2017 - 4 Ca 2014/16 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Hauptsache teilweise in Höhe von 1.839,57 Euro erledigt hat.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, als Bürgin Beiträge an die Urlaubskasse für ein slowenisches Unternehmen, welches Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Arbeiten nach Deutschland entsandt hat, zu zahlen.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt er die Beklagte als Bürgin für Beiträge eines slowenischen Unternehmens in Anspruch, zuletzt in Höhe von 20.917,64 Euro für den Zeitraum Juli bis Dezember 2013.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein in der Baubranche tätiges Unternehmen. Sie beauftragte das Unternehmen A (im Folgenden auch kurz Fa. A) mit der Erbringung baulicher Leistungen, dieses beauftragte wiederum das slowenische Unternehmen Fa. B, xxxx, Slowenien (im Folgenden kurz Fa. B bzw. Hauptschuldnerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung slowenischen Rechts, mit der Erbringung von baugewerblichen Tätigkeiten in Form von Rohbau- und Hochbauarbeiten. Dabei handelt es sich um die Baustellen Seniorenwohnstift in C (Baust.Nr. xxxx), xxx in D (Baust.Nr. xxxx) sowie xxxx in D (Baust.Nr. xxxx). In dem Zeitraum von Juli 2013 bis Dezember 2013 wurden auf die oben genannten Baustellen gewerbliche Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt. Zwischenzeitlich ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. A eröffnet worden.

Ein Teilbetrag in Höhe von 22.899,54 Euro ist bereits vor Rechtshängigkeit entrichtet worden.

Mit außergerichtlichen Schreiben vom 23. Mai 2014 und vom 13. September 2016 ist die Beklagte zur Zahlung aufgefordert worden.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - (NZA Beilage 1/2017, 12 ff.) entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en) (kurz: AVE) des VTV vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008) sowie vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010) unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag (10 ABR 48/15,AP Nr. 36 zu § 5 TVG) hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) und vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) unwirksam sind.

Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) verabschiedet. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll. Das Gesetz ist am 25. Mai 2017 in Kraft getreten.

Am 22. März 2018 ist vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. A ein (weiterer) Betrag in Höhe von 1.839,57 Euro an den Kläger gezahlt worden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte als Bürgin verpflichtet sei, Sozialkassenbeiträge für die Fa. B zu zahlen. Es sei ausreichend, dass sich von der Beklagten aus eine Subunternehmerkette bis hin zur Fa. B nachverfolgen lasse. In Bezug auf die Beschäftigungszeiten stützt sich der Kläger auf die Anmeldungen nach § 18 Abs. 1 AEntG gegenüber der Bundesfinanzdirektion West (Bl. 37 - 84 der Akte). Bei der Berechnung der Klageforderung ist der Kläger davon ausgegangen, dass die gewerblic...

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