Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem so genannten Tarifsozialplan handelt es sich um ein tariflich regelbares Ziel, für das gestreikt werden darf.

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert eine Würdigung, ob ein Kampfmittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfziels geeignet und erforderlich und bezogen auf das Kampfziel angemessen (proportional bzw. verhältnismäßig im engeren Sinn) eingesetzt worden ist.

3. Das Verständnis der Arbeitgeberseite von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem Sinn, ob die Streikziele erreichbar sind und welche Schäden durch den Streik entstehen, entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

4. Die Unverhältnismäßigkeit der Arbeitskampfmaßnahme ergibt sich nicht aus der Höhe der Streikforderung.

5. Der Streik zielte nicht auf die wirtschaftliche Existenzvernichtung des Arbeitgebers. Vielmehr wollte die Gewerkschaft ein möglichst gutes Ergebnis für die Arbeitnehmer (d.h. hohe Abfindungen) erreichen.

6. Dass aufgrund des Streiks Kunden des Arbeitgebers "abwandern", hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes.

 

Normenkette

ZPO §§ 935, 940; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.07.2018; Aktenzeichen 6 Ga 70/18)

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 2018 - 6 Ga 70/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen.

Die Verfügungsklägerin betreibt eine Gießerei, die Motorblöcke für die Automobilindustrie fertigt. An ihren Standorten in A und B beschäftigt sie insgesamt etwa 2100 Mitarbeiter.

Verfügungsbeklagte ist die C.

Die Verfügungsklägerin plant die Schließung ihres Standorts in B zum 31. Dezember 2019. Mit Schreiben vom 6. Juni 2017 forderte die C, Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen und Bezirk Mitte gegenüber der Verfügungsklägerin den Abschluss eines Sozialtarifvertrages (Anl. 6 Anlagenband). Nach Durchführung von Urabstimmungen an den Standorten A und B über einen unbefristeten Streik rief die Verfügungsbeklagte die Mitarbeiter der Verfügungsklägerin sowohl in A als auch in B zu unbefristeten Streiks ab 14. Juni 2018 auf (Anl. 9 Anlagenband).

Hiergegen hat sich die Verfügungsklägerin mit ihrer einstweiligen Verfügung gewandt.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 248-250 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, da der Streik nicht rechtswidrig sei. Der Streik sei auf tariflich regelbare Ziele gerichtet. Maßgeblich seien die dem Gegner in Form des konkreten Streikbeschlusses übermittelten Tarifforderungen. Verlautbarungen nicht vertretungsberechtigter Mitglieder der Gewerkschaft seien unmaßgeblich. Soweit die Rechtsprechung des Hessischen Landesarbeitsgerichts im Urteil vom 9. September 2015 -9 SaGa 1082/15- davon abweiche, habe es sich um einen mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Einzelfall gehandelt. Die in dem Schreiben vom 6. Juni 2018 genannten Forderungen beinhalteten tariflich regelbare Ziele, nämlich den Abschluss eines Sozialtarifvertrages. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liege nicht vor. Das Volumen der Forderung mache diese nicht rechtswidrig. Der Streik sei auch nicht auf die wirtschaftliche Existenzvernichtung des Gegners gerichtet. Die wirtschaftliche Schädigung sei Teil jeden Arbeitskampfes und von Verfassung wegen hinzunehmen. Die Gefahr des Abspringens von Kunden sei hierfür nicht ausreichend.

Dieses Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am 13. Juli 2018 zugestellt. Sie hat dagegen am selben Tag Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Verfügungsklägerin rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der Streik unrechtmäßig sei.

1. Die Streikziele seien unerreichbar und von dem Unternehmen nicht leistbar, sondern würden sofort zur Insolvenz führen.

2. Durch den Streik entstünden unverhältnismäßige Schäden, weil damit ein Kundenverhalten erzeugt werde und bereits erzeugt wurde, das zu irreversiblem Arbeitswegfall, nicht nur im zum 31. Dezember 2019 zu schließenden Standort B, sondern auch in dem Werk A führe.

3. Mit dem Streik solle erreicht werden, dass sich Dritte an den von der Verfügungsklägerin geforderten Leistungen beteiligen.

4. Mit dem Streik solle die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb in B zu schließen, rückgängig gemacht werden.

5. Der Streik habe das hinreichend deutlich geäußerte Ziel, den Gesellschafter zum Aufgeben und Verschwinden zu bewegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf Bl. 294-321 der Akten Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 2018 -6 Ga 70/18- abzuändern und

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