Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitskampf. Überprüfung von Tarifforderungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rücknahme einer einzelnen Tarifklausel aus einem komplexen Tarifvertrag, dessen Abschluss die Streikforderung ist, mit Schreiben des Vorstandes oder Erklärung zu Protokoll des Gerichts bedingt nicht neue Verhandlungen und ein neues Scheitern der Verhandlungen vor Fortsetzung des Arbeitskampfes.

Qualitative Besetzungsklauseln sind zulässige Tarifinhalte und können auch Gegenstand einer Streikforderung sein. Eine gerichtliche Kontrolle des Übermaßes von Streikforderungen findet grundsätzlich nicht statt (vgl. BAG Urteil vom 24. April 2007 – 1 AZR 252/06 –).

 

Normenkette

ZPO §§ 935, 940; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1; BGB § 1004

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.08.2011; Aktenzeichen 22 Ga 138/11)

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 08. August 2011 – 22 Ga 138/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien verhandeln bereits seit Februar 2011 über einen neuen Eingruppierungstarifvertrag und über die Forderungen bezüglich des VTV. Den Entwurf eines ETV-E erhielt die Verfügungsklägerin seitens des Verfügungsbeklagten am 14. Mai 2011, die Forderungen zur Vergütungsrunde wurden ihr am 21. April 2011 übermittelt. Der bisher bestehende Eingruppierungstarifvertrag 2007 wurde seitens des Verfügungsbeklagten ebenso wie der Vergütungstarifvertrag Nr. 5 zum 31. Mai 2011 gekündigt. Am 9. Juni 2011 hat die Verhandlungskommission des Verfügungsbeklagten die Verhandlungen abgebrochen. Die Tarifkommission des Verfügungsbeklagten hat am 15. Juni das Scheitern der Tarifverhandlungen erklärt. Der Bundesvorstand entschied am 16. Juni 2011, seine Mitglieder zur Urabstimmung aufzurufen, die am 28. Juni 2011 eingeleitet wurde und am 29. Juli 2011 endete. Der Verfügungsbeklagte gab am 1. Aug. 2011 bekannt, dass bei einer Wahlbeteiligung von 92,12 % der Mitglieder 95,8 % für einen unbefristeten Streik gestimmt hätten. Nach einem ersten Streikaufruf vom 2. Aug. 2011 für den 4. Aug. 2011 kündigte der Bundesvorstand am 8. Aug. 2011 per Telefax um 5.07 Uhr an, er werde erneut alle tariflich beschäftigten Mitarbeiter für den 9. Aug. 2011 in der Zeit von 6.00 Uhr bis 12.00 Uhr zum Streik auffordern. Er teilte mit, der Arbeitskampf diene der Durchsetzung der bisherigen Forderungen mit Ausnahme des Ergänzungssatzes in § 2 Abs. 1 ETE-V und der rückwirkenden Berücksichtigung der Einmalzahlung.

Am 8. Aug. 2011 gegen Mittag reichte die Verfügungsklägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein, durch die dem Verfügungsbeklagten untersagt werden sollte, seine Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu Streiks aufzurufen und / oder Streiks in ihren Betrieben durchzuführen, um ihre Streikforderungen zum Eingruppierungstarifvertrag 2011 (ETV-E) und zum Vergütungstarifvertrag (VTV) nach Maßgabe des Schreibens vom 8. Aug. 2011 durchzusetzen, und durch die ihm für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsgeld bzw. -haft angedroht werden sollte.

Einen bis auf den hinzugefügten Satzteil „nach Maßgabe des Schreibens vom 8. Aug. 2011” mit dem im vorliegenden Verfahren identischen Antrag hatte die Verfügungsklägerin bereits am 3. Aug. 2011 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main – 22 Ga 134/11 – gegen den Streikaufruf des Verfügungsbeklagten vom 2. Aug. für den 4. Aug. 2011 eingereicht. Mit dem am 3. Aug. 2011 gegen etwa 18 Uhr verkündeten Urteil gab das Arbeitsgericht dem Antrag statt. Zur Begründung führte es aus, mit der geforderten Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 ETV-E würde gegen die Friedenspflicht verstoßen, da eine deckungsgleiche Regelung in § 19 des ungekündigten Manteltarifvertrages enthalten sei. Gegen dieses Urteil legte der Verfügungsbeklagte am selben Tag gegen 20 Uhr Berufung ein. Bis zur Berufungsverhandlung um 21.30 Uhr hatte der Verfügungsbeklagte den Streik abgesagt. Die Verfügungsklägerin nahm ihre erstinstanzlichen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Beginn der Berufungsverhandlung zurück.

Die Verfügungsklägerin hat ihren erneuten Antrag darauf gestützt, dass die im ETV-E geforderten Stellenbesetzungsklauseln (§ 3 Abs. 2) rechtswidrig seien. Sie dienten weder dem Schutz von Fachkräften noch dem Überforderungsschutz und verletzten Art. 12 GG (unternehmerische Entscheidungsfreiheit, Berufsfreiheit), den allgemeinen Gleichheitssatz und verstießen gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Nach Auffassung der Verfügungsklägerin seien in zahlreichen Fällen die geforderten Merkmale nicht erforderlich und erschwerten ohne sachlichen Grund die Stellenbesetzung. In vielen Fällen stellten die geforderten Merkmale eine Abschottung der Mitarbeiter der Flugverkehrskontrolle gegen Fremdeinfluss dar, insbesondere im Hinblick auf einschlägige Berufserfahrungen von mindestens 15 oder 20 Jahren (Übersicht Seite 11, Tabelle Seite 14, 15 der Antragsschrift). Heute würden in der Einsatz- und Schichtplanung überwiegen...

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