Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerüberlassung;. Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

1) § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist insoweit verfassungswidrig, als darin zwingend ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird, weil dadurch Art. 12 Abs. 1 GG- freie Wahl des Arbeitsplatzes – verletzt wird.

2) § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dem Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht gegen die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher zusteht.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; AÜG § 1 Abs. 1, §§ 2, 3 Nr. 2, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; BGB § § 293 ff., §§ 297, 615, 611, 323

 

Beteiligte

Dr. Horst-Schmidt-Kliniken

Geschäftsführer Herrn Holger Strehlau-Schwoll, ebenda

Rechtsanwälte PD Dr. Christian Dierks, Dr. Thomas Bohle, Dr. Martin Stellpflug, Torsten Münnch, Ulrich Grau in Kanzlei Dierks & Bohle

Med.-techn. Röntgenassistentin Irmingard Kowalsky

Rechtsanwälte Reinhard Schütte, Wilfried Jancke, Claudia Heer

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.06.2000; Aktenzeichen 9 Ca 62/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Wiesbaden vom 19. Juni 2000 – 9 Ca 62/00 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer Klage auf Zahlung von Vergütung darüber, ob die Beklagte im Rahmen eines Betriebsübergangs Arbeitgeberin der Klägerin geworden ist.

Die am 26. Juli 1942 geborene Klägerin ist gelernte Medizinisch-Technische Assistentin. Sie war aufgrund eines am 14. Dezember 1982 mit einer „Rheumaklinik Wiesbaden GmbH & Co. Betriebs-KG” geschlossenen Arbeitsvertrages (AV I, Bl. 5 bis 9 d. A.) seit dem 10. Januar 1983 jedenfalls bis zum 30. Juni 1998 als Röntgenassistentin Arbeitnehmerin in einer Rheumaklinik II („Klaus-Mielke-Klinik”, im Folgenden: „KMK”), die sich in der Leibnizstraße 23 in Wiesbaden befindet. Am 02. Juni 1998 schloß sie einen neuen schriftlichen Arbeitsvertrag mit Wirkung vom 01. Juli 1998 mit einer „Rheumaklinik Wiesbaden I Betriebs GmbH” (AV II, Bl. 10 bis 16 d. A.), die ebenfalls in Wiesbaden die Rheumaklinik I („Wilhelm-Fresenius-Klinik”, im Folgenden: „WFK”) in der Aukammallee 39 betrieb. Betreiberin der KMK war Anfang 2000 die RMH-Krankenhaus GmbH & Co. KG Objekt III mit Sitz in Deidesheim, deren Kommanditistin die RHM-Klinik Beteiligungs GmbH in Dahlen bei Leipzig war (einfacher Handelsregister-Auszug des Amtsgerichts Bad Dürkheim zu HR A 1302, Bl. 183 bis 185 d. A, und des Amtsgerichts Leipzig zu HR B 13049, Bl. 188 d. A.). Geschäftsführer und einziger Gesellschafter dieser KG war ein Rolf-Henning Mayer (Gesellschafterliste Bl. 187 d. A.). Die WFK wurde von der Rheumaklinik Wiesbaden I Betriebs-GmbH mit demselben Geschäftsführer und Sitz ebenfalls in Deidesheim unterhalten. Die Klägerin erhielt ihre Vergütung seit dem 01. Juli 1998 von der WFK, zuletzt monatlich 4.555,33 DM brutto (Gehaltsabrechnung für den Monat Dezember 1999 Bl. 24 d. A). Der Arbeitsplatz der Klägerin befand sich von Anfang an und bis Ende 1990 in der KMK. Sie erhielt ihre Weisungen von dem Chefarzt und dem Verwaltungsleiter dieser Klinik, von dort ihre Arbeitskleidung und das Arbeitsmaterial, beantragte dort Urlaub und gab dort Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab. Sie untersuchte allein überwiegend Patienten dieser Klinik, indem sie von diesen Röntgenaufnahmen machte, Knochendichtemessungen und Lungenfunktionsprüfungen durchführte und Elektrokardiogramme aufnahm. Sie führte aber – im Einzelnen nach Art der Untersuchung und Umfang zwischen den Parteien streitig – auch Knochendichtemessungen an Patienten der WFK durch, die dazu zu ihr in die KMK kamen. Ein 1998 entworfenes Modell, nachdem die Arbeitnehmer im Röntgenbereich zwischen beiden Kliniken rotieren sollten, wurde nicht durchgeführt. War die Klägerin verhindert und hatte die KMK keine Vertretung zur Verfügung, wurden Patienten der KMK auch in der WFK röntgenologisch untersucht. Die Klägerin wurde in der KMK viermal vor Abschluss des Arbeitsvertrages mit der Betreiberin der WFK bei Abwesenheit von einer Frau Glaser aus der WFK vertreten. Sie hat auch in der WFK gearbeitet, so am 20. und 21. Juli 1998 zur Unterstützung des dortigen Röntgenassistenten Jensen und am Rosenmontag 1999 auf Anweisung der dortigen Verwaltungsleiterin Reischl. Die Betreiberin der WFK hatte keine Erlaubnis zur gerwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte kaufte von der Betreibergesellschaft der WFK („Verkäuferin Ziffer 2”) und der Erbbauberechtigten an dem Betriebsgrundstück, der RHM Gesellschaft für Klinikbetriebe mbH & Co. Verwaltungsgesellschaft („Verkäuferin Ziffer 3”), mit notariellem Kaufvertrag vom 16. Dezember 1999 mit Wirkung zum 01. Januar 2000 die WFK. Der Kaufvertrag (im Folgenden: „KV”) lautet, soweit hier von Bedeutung, wie folgt:

„…

§ 6

Übernahme der Arbeitnehmer

1. Die Käuferin übernimmt gemäß § 613a BGB im Wege des Betriebsübergangs sämtliche in den Kliniken der Verkäuferinnen Ziff. 2. und 3. über den Übernahmestichtag hinaus ...

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