Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine freiwillige Betriebsvereinbarung nachwirkt.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 6, § 102 Abs. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Bad Hersfeld (Urteil vom 22.06.1993; Aktenzeichen 1 Ca 453/93)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bad Hersfeld vom 22. Juni 1993 Aktenzeichen: 1 Ca 453/93 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die an die aus Bl. 35 d. A. ersichtlichen Tarifverträge kraft Verbandszugehörigkeit gebundenen Parteien streiten über die Wirksamkeit einer dem Kläger erklärten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung und über das Bestehen eines Weiterbeschäftigungsanspruches des Klägers.

Der am 02.10.1938 geborene Kläger ist kinderlos verheiratet. Er steht seit Februar 1973 als Schweißer in den Diensten der Beklagten, die zur Zeit des Kündigungszuganges etwa 260 Arbeitnehmer beschäftigt hat. Der Monatslohn des Klägers hatte zuletzt eine Höhe von rd. 3.400,– DM brutto.

Mit Schreiben vom 25.03.1993, das dem Kläger am 26.03.1993 zugegangen ist, kündigte die Beklagte dem Kläger und etwa 20 weiteren Arbeitnehmern aus betrieblichen Gründen zum 30.09.1993. Dagegen wendet sich der Kläger mit der seit dem 08.04.1993 anhängigen, alsbald danach zugestellten Klage. Zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat wurde am 27.09.1972 die aus Bl. 69–73 d. A. ersichtliche Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Diese lautet auszugsweise:

㤠1

1. Einstellungen, Versetzungen, Beförderungen, Ein- und Umgruppierungen, nach § 99 BetrVG Kündigung § 102 BetrVG seitens des Arbeitgebers erfolgen nur mit Zustimmung des Betriebsrates …

§ 12

Soweit nach den vorhergehenden Bestimmungen Maßnahmen des Arbeitgebers an die Zustimmung des Betriebsrates gebunden sind, wird, falls dieser auch nach eingehenden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber seine Zustimmung nicht erteilt, die Einigungsstelle tätig …

Die Einigungsstelle entscheidet bindend.

§ 14

Diese Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresschluß gekündigt werden. Sie wirkt nach bis zum Abschluß einer neuen Betriebsvereinbarung. Änderungen sind nach gegenseitiger Rücksprache jederzeit möglich.”

Die Betriebsvereinbarung ist im Jahre 1975 durch die Beklagte gekündigt, von beiden Betriebspartnern dennoch aber weiter angewendet worden. Im September 1992 erfolgte eine weitere Kündigung zum 31.12.1992.

Vor Ausspruch der vorliegend vom Kläger angefochtenen Kündigung vom 25.03.1993 hat die Beklagte den in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat angehört. Der Betriebsrat hat der Kündigung widersprochen. Hinsichtlich der nach Ausspruch der Kündigung durchgeführten Einigungsstellenverfahren wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Feststellungen des angefochtenen Urteiles verwiesen (s. Bl. 14 d. A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 25.03.1993 sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte die einschlägigen Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen vom 27.09.1972 – unstreitig – unbeachtet gelassen habe. Er hat des weiteren bestritten, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Gründe gerechtfertigt sei und die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl einer objektiven Überprüfung standhalte.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.03.1993 zum 30.09.1993 nicht aufgelöst wird, sondern über diesen Zeitraum hinaus unverändert fortbesteht;
  2. die Beklagte bei positiver Entscheidung zu 1. zu verurteilen, den Kläger ab Verkündung des erstinstanzlichen Urteiles bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu den bisherigen Bedingungen als Schweißer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat entgegnet, die Betriebsvereinbarung vom 27.09.1972 sei rechtlich unbeachtlich. Das beruhe schon darauf, daß sie von der Beklagten wirksam gekündigt worden sei. Die Weiteranwendung der Betriebsvereinbarung bis Ende 1992 habe keine rechtlichen Auswirkungen, weil eine stillschweigende Verlängerung einer Betriebsvereinbarung gesetzlich nicht vorgesehen sei und die Beklagte zudem rechtsirrtümlich auf die Nachwirkung abgestellt habe. Eine freiwillige Betriebsvereinbarung könne indessen nicht nachwirken. Dies könne in der Betriebsvereinbarung selbst auch nicht vereinbart werden.

Abgesehen davon, daß die Kündigung der Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1975 nach alledem wirksam sei, habe die Betriebsvereinbarung von Anfang an gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen. Denn die dort getroffene Bestimmung, daß die Einigungsstelle bindend entscheide, lasse sich mit § 4 ArbGG nicht vereinbaren.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Urteil vom 22.06.1993, das der Beklagten am 27.07.1993 zugestellt worden ist (s. Bl. 21 d. A.) und auf dessen Inhalt ergänzend verwiesen wird (s. Bl. 11–20 d. A.), stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 27.08.1993 eingelegten (s. Bl. 24 d. A.), am 27.10.1993 innerhalb verlängerter Beru...

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